Hartz IV – Ansichtssache

Redaktionskollegin Butterfly hat im Juli ihren Einstandsartikel  dem Thema „Hartz IV“ gewidmet. Einige – weniger politisch interessierten – Leser aus Österreich könnten den Begriff eher mit einem neuen Kinofilm als der Arbeitsmarktreform in Deutschland verbunden haben. Das hat mich dazu veranlasst, mir heute etwas Gedanken über die umstrittene Reform im Nachbarland zu machen.

Hartz IV steht für das unter der Leitung des Personalvorstands des VW-Konzerns, Peter Hartz, entwickelte Grundsatzpapier zu einer Arbeitsmarktreform in Deutschland, das später in die Gesetzespakete Hartz I bis Hartz IV einfloss und für rund 3 Millionen arbeitslose Menschen ab Jänner 2005 eine Umstellung ihrer staatlichen Unterstützung mit sich bringt.

Ein wesentlicher Bestandteil der Reform sieht die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum sogenannten Arbeitslosengeld II (ALG II) vor. ALG II erhalten Arbeitslose, wenn die Bezugsdauer für das reguläre beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld erschöpft ist, was in den meisten Fällen nach 12 Monaten der Fall sein wird. Von den über 4 Millionen arbeitslos gemeldeten Menschen in Deutschland sind somit ca. 3 Millionen von Hartz IV direkt betroffen.

Das neue Arbeitslosengeld II beträgt pauschaliert im Westen € 345,- und im Osten € 331,-, das heißt es ist vom früheren Aktiveinkommen vollkommen entkoppelt. Zusätzlich zu dieser Pauschale sind Kinderzuschläge vorgesehen. Wohnungs- und Heizkosten werden, sofern sie angemessen sind, übernommen. Die Angemessenheit und ihre Definition ist ein zentraler Punkt, entscheidet er doch nicht nur über die Größe der Wohnung, sondern auch das Vorhandensein eines Autos und ähnlichen mehr.

Bei der Berechnung des ALG II werden stärker als bisher das Einkommen des Lebenspartners, sowie die Vermögensverhältnisse herangezogen. Gerade mal einen relativ kleinen Betrag darf ein Arbeitsloser in Deutschland auf der „hohen Kante“, also am Sparbuch, haben um in den Genuss von Arbeitslosengeld II zu kommen, anderenfalls ist zuvor das Ersparte aufzubrauchen. Auch Sparbücher von Kindern sind nur bis zu einem Freibetrag von € 4.100,- vor Hartz IV sicher. Nicht verwunderlich, dass bei den zahlreichen Demonstrationen gegen Hartz IV auch oft Transparente mit dem Spruch „Finger weg von meinem Sparbuch“ zu lesen sind. Selbst die privat angesparte Renten- und Lebensversicherung ist nicht gänzlich vor dem Zugriff sicher. Künftig werden die Menschen ihre Ersparnisse wohl unter dem Kopfpolster horten, wenn das ersparte Geld ansonsten gegen Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung aufgerechnet wird.

Von den Gewerkschaften wird unter anderem die Neuregelung der Zumutbarkeit heftig kritisiert. Langzeitarbeitslose sind verpflichtet jede legale Arbeit anzunehmen, auch wenn die Bezahlung den Tariflohn oder das ortsübliche Entgelt unterschreitet. Lohndumping ist damit natürlich Tür und Tor geöffnet. Zuverdienstgrenzen sind zwar vorgesehen, wenngleich sich die Arbeitenden lediglich einen 15-30%igen Freibetrag auch behalten dürfen. Weiters sollen Arbeitslose einfache Tätigkeiten bei gemeinnützigen Einrichtungen übernehmen, für welche sie € 1,- pro Stunde zusätzlich zum ALG II erhalten.

Es war nicht meine Intuition das Thema Hartz IV heute vollständig abzuhandeln, das hätte wahrscheinlich auch meine Kompetenz überschritten. Vielmehr wollte ich in meiner Kolumne eine groben Überblick bieten, aber auch meine Sicht der Dinge darlegen. Wer an weiteren Sachinformationen, aber auch Plattformen und Foren Pro und Contra Hartz IV, interessiert ist wird im Internet mehr als fündig werden – Google liefert zum Begriff „Hartz IV“ rund drei Millionen Suchergebnisse.

Man muss die zur Agenda 2010 zurechenbare Reform unter der wahrlich nicht rosigen Arbeitsmarktsituation sehen, wo lt. der Bundesanstalt für Arbeit im August 2004 rund 4,31 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet waren. Man kann hier beim besten Willen von keiner kleinen Randgruppe mehr sprechen, die – wie hierzulande von manchen Realitätsverweigerern manchmal dargestellt – ohnehin an ihrer Situation selbst schuld seien. Es handelt sich in Deutschland um eine handfeste Krise am Arbeitsmarkt, wo sich Österreich sicher noch relativ glücklich schätzen kann, wenngleich bei diesem Vergleich Österreich- Deutschland die unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Aber apropos Österreich: Wenn ich mich nicht irre, steht im Arbeitsprogramm der Regierung „Schüssel II“ sinngemäß die Zusammenlegung der in Österreich üblichen Notstandshilfe mit der Sozialhilfe angeführt, was frapierende Ähnlichkeiten mit Hartz IV aufweist. Die Zumutbarkeitsbestimmungen wurden in Österreich ohnehin bereits laufend verschärft. Und das Sparbuch will man wohl noch nicht thematisieren, ist es doch erst so kurz her, dass sich die Österreicher, gedrungen durch ein EU-Verfahren, von ihrem geliebten anonymen Sparbuch verabschieden mussten. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Bundeskanzler Schüssel, bald das nächste heiße Eisen anpacken wird, nachdem die Pensionsreform verdaut ist.

Zurück zu Deutschland: Die zweifellos unpopulären Hartz IV Gesetze wurden letztlich auch nicht von der rot-grünen Regierung alleine getragen, denn auch die oppositionelle Union und die FDP stimmten der Reform im Bundestag zu. Lediglich die postkommunistische PDS verweigerte ihre Zustimmung. Es ist nicht verwunderlich, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder den Unmut der Bevölkerung zu Spüren bekommt, sei es durch die wöchentliche Montagsdemonstration oder auch persönliche Angriffe, wie zuletzt etwa die Ohrfeige von einem arbeitslosen Lehrer, welcher zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt wurde.

Das derzeitige Stimmungsbild und auch Umfrageergebnisse in Deutschland zeigen, dass die Zeit der rot-grünen Regierung in Deutschland nach der nächsten Bundestagswahl gezählt sein könnte. Es ist gut möglich, dass sich nach der nächsten Wahl sowohl in Deutschland als auch Österreich das Blatt wendet – ironischerweise jeweils in die gegengesetzte Richtung. Ich wage es zu bezweifeln, dass sich dadurch viel ändern wird…

Pedro

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