Wenn man viel im Internet – speziell in Foren – unterwegs ist, dann freut man sich selbstverständlich über zahlreiche inhaltlich deckungsgleiche Ansichten. Kalt lassen einen jedoch sich intellektuell gebärdende sogenannte Meinungen und Standpunkte ohne inhaltliche Tiefe, anspruchsloses Krikastern, Substanzloses – wahrscheinlich zur geistigen Selbstbefriedigung. Ein Schauer läuft einem über den Rücken, wenn zu so einem ernsten Thema wie Krieg und Frieden (Beitrag zur Neuvermessung der Welt) kaum ein Wort verloren wird. Das ist nicht nur Politverdrossenheit, sondern zeigt auch, wie manchen Leuten Ernsthaftigkeit und damit politisches Interesse weitgehend abhanden gekommen sind. Man spricht von einer lähmenden Gleichgültigkeit. Jedes Argument prallt bei denen ab. Sie klammern sich an unwesentliche Details, an Äußerlichkeiten, an Formfragen, bestenfalls schweigen sie feige. So schützen sie sich vor unbequemen Fragen. Wer wollte schon auf manche massiv ausgekotzte Dummheiten reagieren? Verschwendete Liebesmüh.
Im Disput fallen oft die Worte Entpolitisierung und Reduzierungen. Ein
User wandte sie auf den ehemaligen Osten an. Es ist genau umgedreht – es ist der Manipulationsknüppel der Heutigen. Es ist eine der wichtigsten Methoden, um das Volk in Hörigkeit zu halten. Der Brisanz dieser Feststellung begegnet man allemal: Da wird die Alternative zum Kapitalismus, die DDR, auf Diktatur und Stasi reduziert, da wird die Befreiung vom Faschismus auf „Kriegsende“ umgedeutet, da wird die Tatsache der zweiten Front durch die westlichen Allierten als der entscheidende Anteil des Sieges über Hitlerdeutschland hochstilisiert, da werden die Opfer des Faschismus auf die Judenverfolgung verkürzt…
Gehen wir noch weiter zurück: In seinem wundervollen Büchlein „Herztöne“ schreibt der einstige bekannte DDR-Publizist Hajo Herbell auf den Seiten 147-149 folgendes: Selbst die Histiographie zeige sich „rechtslastig, national-konservativ“. Im „Lexikon der Weltgeschichte von 1999 lese sich das zum Beispiel so: „Unter dem Kommando (!) von Bauernführern wie Thomas Müntzer (…) kam es (…) zu zahlreichen Erhebungen. (…) Nach anfänglichen Erfolgen (…) schlug der Protest um in nackte Gewalt, es kam zu Plünderungen und Mordtaten“, (…) bis die armen Fürsten quasi gezwungenermaßen ihre überlegene Streitmacht aufboten. Im „Bildatlas Deutsche Geschichte“ von 1999 werde Thomas Müntzer als „irrlichtender Geist“ bezeichnet und Luther werde ebenso verkleinert und sein reformistisches Aufbegehren geschah aus „privater Gewissensnot“. Selbst die mutige Tat von Stauffenberg werde des Politischen beraubt und allein aufs Moralische reduziert, so Herbell. (S. 150) Da sind sie – die Reduzierungen auf Nebensächlichkeiten, die heute Hochkonjunktur haben.
Kurz: Die angepriesene Vielfalt (Pluralismus) soll für Demokratie stehen. Das ist irritierend. Und bemäntelt gleichzeitig die wahren Absichten der oberen Zehntausend nach Macht und Profit auf Kosten des Sozialen. Verzettelung, Vereinzelung, Reduzierung auf´s Detail, die Entpolitisierung, die Negierung des Gesamtzusammenhangs – das ist Ideologie der schlimmsten Art, das ist Methode. Warum? Weil das Ende der Geschichte ausgerufen ist. Keine Veränderungen mehr. Genug. Alles bleibt beim Alten. Diese geduldete „Offenheit“ und „Meinungsfreiheit“ sind der geistigen Kommerz-Treibjagd durch Politik und Medien, durch den Neoliberalismus geschuldet. Was ist eine Hochwassergefahr, die gebändigt werden kann, gegen eine mächtiger werdende geistige Kloaken-Flut? Wie aufregend! Meinst du wirklich??? Wer fragt da nach Alternativen?
Eine Sache der Gewöhnung? So ist es. Nicht jeder lässt gerne Ernsthaftes an sich heran. Wie auch, wenn sich die herrschende Clique mit einem raffinierten Blendwerk umgibt und ihre wahren Ziele nicht so leicht zu durchschauen sind. Da lässt man lieber die Finger von aufklärerischen politischen Sachbüchern. Solche Politischen? Hände weg! Unterhaltung auf seichteste Art liegt immer gut im Rennen, lässt sich gut verkaufen. Und vor allem: Um jede Ursache gesellschaftlicher Fehlleistungen wird ein Umgehungsschild aufgestellt!!! Ja nicht in die Tiefe gehen. Politisches Nachdenken ist gefährlich uncool.
Harry Popow