Freud und Leid – Henry, Teil 5

Er wunderte sich selber, dass er sich nicht weiter um das Rad kümmerte und an diesem vorbei zur Haustür ging. Hatte er doch seit dem Verlust seines Führerscheines, was auch das Aus für die Fahrschule bedeutete, meist das Fahrrad benutzt um Besorgungen zu machen.

Christina hatte im Verlauf des nachfolgenden Konkursverfahrens mehrfach Nervenzusammenbrüche erlebt, was dann auf Dauer ihre Versetzung in den vorgezogenen Ruhestand mit sich brachte. Und trotzdem ging es beiden noch ganz gut in ihrer finanziellen Unsicherheit und beide lernten auf völlig neue Art, miteinander auszukommen.

Klaus der „Zuerstgeborene“, hatte es dem Vater nachgemacht und war zum “Bund“ gegangen, aber nur für acht Jahre und hatte hernach Jura studiert um nach dem Abschluss und nachfolgender Promotion eine gute Tätigkeit bei Deutschlands größtem Autobauer anzutreten, die ihn schon bald in die oberste Etage hievte. Ein Umstand, der Henry und natürlich auch Christina eine Menge Stolz, allerdings auch ein wenig Wehmut bescherte.
Klaus als Kind schon „Hansdampf in allen Gassen“, hatte sich in einen Manager verwandelt und sich damit, wie Christina fühlte, der Familie „entzogen“.

Klaus ganz Erfolgsmensch, hatte erst nach dem Einstieg in die Wirtschaft, Angelika geehelicht und seinem Credo „Kariere bedeutet Opfer zu bringen“ geschuldet, deren Kinderwunsch beiseite geschoben um dann später ein Waisenkind in Brasilien zu adoptieren. Angelika, um einiges jünger als Klaus hatte zunächst in ihrem Beruf als Flugbegleiterin weitergearbeitet und erst mit Klaus`s Aufstieg im Konzern, sich ihrer Rolle als Ehefrau eines Managers immer mehr angenähert.

Henry wollte gerade die Haustüre öffnen, als diese von außen aufgedrückt wurde.

Christina !

Christina festlich gekleidet.

Christina festlich, aber auch irgendwie eingenwillig gekleidet und daher etwas befremdlich scheinend.

Christina, die nach der Versetzung in den vorläufigen Ruhestand wieder richtig aufgeblüht war, was sich doch mehrheitlich durch die Wahl ihrer Garderobe ausdrückte. Einer Garderobe, die sich immer an der Reibung verschiedenster Farbtöne orientierte. Es gab Leute so wie Tochter Conni, die immer Muttis Geschmack als „sehr emotional“ bezeichneten.

Heute aber schien Christinas Garderobe eher gesellschaftlich geprägt zu sein, oder besser gesagt, „Gesellschaftlicher Verpflichtungen zuliebe“. Diese Begrifflichkeit drängte sich Henry auf, als er Christina das Haus betreten sah und gefolgt von Sohn und Tochter samt Anhang, in das geräumige Wohnzimmer verschwinden.

Keiner schien seine Anwesenheit bemerkt zu haben, was ihm aber auch keinerlei Überraschung bescherte. Er hatte auch diese Begegnung irgendwie vorhergeahnt und auch die nun sich als für ihn wirklich unbefriedigend erweisende Begegnung, schien Henry nicht wirklich zu überraschen. Er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben rundum ausgeglichen.

Er wäre sehr gerne der ganzen Gesellschaft in Wohnzimmer gefolgt, aber irgend etwas hielt ihn zurück und so verließ er das Haus um sich in Richtung des Zentrum des kleinen niedersächsischen Dorfes, was nun schon so lange Christinas und seine Heimat war, zu begeben und er fragte sich die ganze Zeit was ihn dazu antrieb.

Er fand sich zunächst auf seinem alten Trampelpfad, wie er seine tägliche Runde mit Dingo immer nannte, wobei er zunächst immer seinen früheren Heimweg links liegen lies, weil dort die frühen Leidenstationen seiner längst überwunden geglaubten kleinen Unzulänglichkeit zu dicht beieinander lagen.

Ein Kältegefühl weckte Henry, als er in die Hauptstrasse des Dorfes schritt. Der Himmel war wolkenverhangen. Dieses Frösteln schien in irgendeiner Art befremdlich zu sein. Er versuchte wie er es früher immer tat, seinen Atem in die Luft zu blasen, was aber heute nicht möglich schien. Jedenfalls war sein Atem nicht erkennbar. Ein beunruhigender Gedanke erfasste Henry, dass es durch den Wolkenvorhang regnen würde, was aber nur einem alten Reflex geschuldet war. Henry wunderte sich selber über sich und seine Angst, die scheinbar unbegründet war.
Regen hatte ihm noch nie etwas ausgemacht.

Wird fortgesetzt!

(C) chefschlumpf

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