„Er sah aus als wäre er am Schreibtisch eingeschlafen. Ganz friedlich lag er da, das Radio war noch leise an und ich wusste sofort, dass ich zu spät gekommen war. Ach wäre ich doch früher wach geworden.“
Christina war in ein leises Schluchzen ausgebrochen, wie Klaus am anderen Ende der Leitung hören konnte. Klaus war von der Polizei Goslar um acht Uhr im Hause angerufen worden und der Beamte sagte, dass seine Mutter ihn um diesen Anruf gebeten hatte.
Er hatte sich gerade bei seiner Frau und dem Jüngsten verabschieden wollen, als der Anruf kam.
Nun saß er mit Angelika im Auto und hatte mehrmals versucht zu Hause anzurufen und nun endlich seine Mutter an die Leitung bekommen.
„Mutter lass uns nachher darüber sprechen. Du hast keine Schuld. Mach Dir bitte keine Vorwürfe. Du hast nichts für Papa machen können. Wir sind bald bei Dir. Conni und Sven sind auch bald da.“
Klaus hörte seine Mutter schluchzen und auflegen.
„Mutti ist ganz aufgelöst, Angelika. Ich hoffe, dass wir ihr helfen können.“
„Das wird nicht leicht sein, Klaus. In zehn Tagen haben wir den Heiligen Abend. Ich glaube nicht, dass das Frohe Weihnachten werden, nicht für uns und auch nicht für Opa und Oma, von der Familie ganz zu schweigen.“
„Die Familie ist mir jetzt ziemlich egal. Da hat jeder seine ganz eigenen Probleme, zumal wir ja immer zu den schwarzen Schafen gehörten, so lange ich zurückdenken kann. Omi war immer sehr lieb zu uns. Naja der Rest, doch was soll`s? Wir haben jetzt ganz andere Sorgen.“
„Dein Vater ist,…… war achtundfünfzig?“
„Sylvester wäre er achtundfünfzig geworden. Der Sylvesterkracher! Der Alte“
Die zum Glück trockene Autobahn flitzte unter den Reifen des Porsche dahin. Noch eine halbe Stunde, wie Klaus und Angelika wussten. Eine lange halbe Stunde, wie es beiden bald vorkommen müsste.
Er würde es sich nicht leicht machen! Er würde es aber auch den anderen nicht leicht machen! Also würde es genau so sein wie immer.
Christina müsste es zugeben. Er hatte noch nie zuviel verlangt von den Leuten mit denen er zu tun hatte. Zu tun hatte er mit genügend Leuten in seinem von Überraschungen reichen Leben.
Christina hatte sich eigentlich nie beschwert er hätte von ihr verlangt was er selber zu geben verweigerte.
Im Gegenteil, Christina hatte immer seine Fairness bewundert.
Henry schaute auf seinen Monitor und erkannte, dass wo soeben noch seine Gedanken in Form großer und kleiner Buchstaben über den weißen Hintergrund versammelt waren ein rotes Kreuz zu sehen war. Ein leuchtend rotes Kreuz, das an den Rändern zu brennen schien.
Er drehte sich um, um sich zu vergewissern, sich noch in seinem Arbeitszimmer zu befinden, musste jedoch feststellen, dass obwohl alles ganz normal ausschaute irgendetwas anders war.
Nicht dass er beunruhigt war, jedoch fühlte er eine kleine Unsicherheit. Dingo, der soeben noch leise neben ihm schnarchte war nirgendwo zu sehen und auch das Radio welches eigentlich immer lief, war ausgeschaltet.
Er hörte ein leises Summen, das obwohl ihm die Quelle dieses Geräusches nicht bekannt war ihm ein wenig Beruhigung zu geben schien.
Er stand auf nur um sich sofort wieder zu setzen. Das Geräusch war lauter geworden. Mit dem Hinsetzten schien auch diese schwebende Summen und Sirren ein wenig leiser geworden zu sein.
Henry wurde neugierig und daher stand er wieder auf und horchte gespannt auf dieses unbeschreibliche, leichte, fast beruhigende Geräusch. Es war mehr als ein Sirren, es war ein Gesang aus tausenden von Kehlen.
Henry bemerkte sofort, dass mit ihm etwas geschah was er sich nicht erklären konnte weil es für ihn völlig neuartig war.
Er stand erneut auf um eine weitere Veränderung an sich festzustellen. Er schien abgenommen zu haben. Er fühlte sich ganz leicht, fast schwerelos. Dieses Gefühl glaubte er zu kennen, hatte er doch in seinem Leben oft für eine solche Leichtigkeit gesorgt.
Natürlich war bei der Bundeswehr, bei der er zwölf Jahre lang Dienst gemacht hatte und wo die Wochenenden in der Kaserne nur mit reichlich geistigem Getränk auszuhalten waren, sein Leben ganz exakt geplant und ließ wenig Spielraum für Individuelles. Und das Individuelle wurde in den Freistunden am Wochenende ausgebend betont.
Henry versuchte sich darüber klar zu werden, ob man dieses Gefühl der Leichtigkeit nun mit der anfänglichen Leichtigkeit im Suff oder der anschließenden Gliederschwere und dem unausbleiblichen schweren Kopf wohl vergleichen konnte. Obwohl, eigentlich war es ihm egal. Er freute sich über die Leichtigkeit mit der er nun die Stufen zum ersten Stockwerk des kleinen Zweifamilienhauses hinunter ging, fast zu sagen schwebte.
Christina hatte dieses, ihr Elternhaus mit in die Familie gebracht als sie geheiratet hatten.
Bei der Bundeswehr nach zwölf Jahren entlassen, nachdem sein Antrag auf Aufnahme in den Berufssoldatenstand abgelehnt wurde, blieb ihm nichts anderes übrig als eine Fahrschule aufzumachen.
Henry war eigentlich gar nicht der Typ „Erfolgreicher Unternehmer“!
Kurzer Blick in das gemeinsame Schlafzimmer und Henry konnte sagen, dass Christina wohl nicht da war. Er wunderte sich selber über sich, dass er genau dieses erwartete. Er hatte Christina gar nicht im Bett vermutet und eigentlich nur hineingeschaut um sich dieses selber zu bestätigen. Henry schwebte, wie es ihm vorkam, die Treppe zum Erdgeschoss hinab. Dort im Hausflur sah er sein Fahrrad, das immer noch so dastand wie er es selber dort am Nachmittag abgestellt hatte.
(C) chefschlumpf , wird fortgesetzt