Am vergangenen Freitag wurde bei Oliver Baiers „Was gibt es Neues“ noch gewitzelt über das „einzige vom Papst genehmigte Kondom“ (Es muss natürlich vorne offen sein!), letzte Nacht las ich zu meiner großen Überraschung im Internet schon davon, dass der Vatikan quasi davor steht, Kondome zu „legalisieren“, sprich, gläubigen Christen die Benutzung zu erlauben. Allerdings noch mit der momentanen Einschränkung, wenn sie selber oder der/die Partnerin an Aids leiden. „In gewissen Situation stellt der Gebrauch des Kondoms das geringere Übel dar“, stößt der einflussreiche Kardinal Martini ins selbe Horn. Kenner des Vatikans gehen davon aus, dass einflussreiche Würdenträger wie Martini sich nur in Abstimmung mit dem Papst Benedikt XVI offen mit diesem Hinweis auf eine „Kurskorrektur“ auftreten können.
Sein vor gut einem Jahr verstorbener Vorgänger Johannes Paul II hatte die Situation noch weniger liberal gesehen und betroffenen Paaren vielmehr die Enthaltsamkeit gepredigt. Was durchaus auch etwas zynisch rübergekommen sein mag, nicht nur bei den Betroffenen selber. Hinter dieser unnachgiebigen Haltung des polnischen Papstes stand das lange Zeit gültige Kirchengesetz, dass Paare nur miteinander schlafen dürfen um Kinder zu zeugen. Ein Gesetz, dass durch die modernen Verhütungsmethoden mehr oder weniger ad absurdum geführt wurde. Viele Kinder zu haben ist längst nicht mehr modern oder eine probate Methode zur finanziellen Absicherung im Alter. Und so manche Frau würde zwanzig oder mehr Kinder in der langen Phase ihrer Fruchtbarkeit zur Welt bringen müssen, wenn sie sich dieser Doktrin noch unterwerfen würde – was heute wirklich kaum noch jemand tut.
Sex ist, das sei einmal mehr klar gesagt, nichts Unmoralisches sondern ein ganz natürlicher Trieb wie Essen, Trinken oder Schlafen. Ein Trieb, dem Mann wie Frau nachgehen dürfen und sogar sollen: so wie der hungrige oder durstige oder müde Mensch. Ich gehe sogar soweit zusagen: ein Mensch, der sich Sex immer versagt, führt ein sehr unnatürliches Leben, weil eine gesunde Sexualität zu unserem Leben einfach dazugehört. Dass sich in unserer freizügigen Gesellschaft so mancher Sexaholic entwickelt hat, so wie etwa auch Fettleibige, weil der Mensch sich bekanntermaßen schwer tut, Maß zu halten, ist ein Nebeneffekt, auf den ich an dieser Stelle nicht näher eingehen werde. Auf was ich allerdings hinweisen möchte, ist, dass die Kirche von jeher eine ziemlich verzopfte Einstellung zur körperlichen Liebe pflegte. Eine Einstellung, die vielleicht einmal ihre Berechtigung hatte, aber heute durchaus kritisch hinterfragt werden darf.
Die Überlegungen, Kondome zumindest einmal Aidskranken zu gestatten, um eine Ansteckung des Partners oder der Partnerin zu verhindern, löst das Denken des Vatikans schön langsam von der fast ewig gültigen Feststellung, Sex sei unmoralisch und diene, wie oben angesprochen, nur dem Zeugen von Kindern… Vielleicht wird mit dieser Kurskorrektur einmal in den hehren Hallen des Vatikans der Boden geebnet für ein neues Denken über Sexualität, Familienplanung und Verhütung. Es wäre an der Zeit, den leben kann und möchte ohnehin schon lange kaum jemand mehr nach dem, was die Kirche bis jetzt noch vorschreibt. Ich bin selber in einer sehr großen Familie aufgewachsen, und auch wenn ich keines meiner Geschwister heute missen möchte: Entbehrung und Geldsorgen waren bei uns an der Tagesordnung. Ich verstehe, dass sich das heute kaum noch jemand antun möchte.
Ich weiß zwar nicht, wie viele Frauen bei uns in Österreich die Pille oder andere Verhütungsmethoden regelmäßig anwenden, aber da sich die Geburtenzahlen erwiesenermaßen seit etlichen Jahren in einem gewissen Rahmen bewegen, im Grunde also stagnieren, sollte man nicht notwendigerweise davon ausgehen, dass Sex etwas ist, auf dass Herr und Frau Österreicher ständig und gern verzichten. Und so kann man wohl durchaus honorieren, dass die Kirche offenbar bereit ist, schön langsam einstmals eherne Gesetze wie dieses aufzuweichen. Revolutionäre Veränderungen darf man sich in der Katholischen Kirche ohnedies nicht erwarten, aber ich deute diese Entwicklung als einen Hinweis darauf, dass mit dem Tod von Johannes Paul II doch eine Ära der Unnachgiebigkeit zu Ende gegangen ist. Und sich vielleicht doch im Laufe der nächsten Jahrzehnte die Katholische Kirche wieder durch mehr Lebendigkeit und Menschennähe auszeichnen könnte…
Wir werden sehen.
© Vivienne