Im Sommer hatte sich Ali, mein Mann, bei einem Klassentreffen eingefunden. Ursprünglich hatte man im Gastgarten einer Pizzeria schmausen und vor allem Erinnerungen austauschen wollen. Aber das etwas unbeständige Wetter hatte die Gruppe von zunächst 15 Leuten zurück ins Lokal getrieben… Und Albert musste sich blendend amüsiert haben. Gegen 3:00 Uhr morgens saß er auf einmal auf unserem Bett und grinste mich an. Er roch etwas nach Bier, sah aber sehr zufrieden, fast glücklich aus und wie er mir am nächsten Tag dann gestand, hatte er einfach das Bedürfnis gehabt mich zu küssen und in den Arm zu nehmen – was er dann auch tat, ausgiebig. Ich hatte keine Chance, obwohl aus dem Schlaf gerissen, ich gab mich seinen Zärtlichkeiten hin, die ja dann nicht wirklich unangenehm waren, alles andere als das…
Beim Frühstück am folgenden Tag, das genau genommen erst gegen Mittag stattfand, begann Albert dann wie erwartet von dem Treffen zu erzählen. Und das meiste davon drehte sich um eine Schulkollegin, Marlene, neben der er in der Schule die meiste Zeit gesessen war… „Marlene – sie ist wirklich noch genauso hübsch und zierlich wie vor fast 25 Jahren. Wir haben uns auf Anhieb wieder verstanden, Vivi, und bald hat mir Marlene ihr Herz ausgeschüttet. Genau wie früher immer, als sie ihren ersten Liebeskummer hatte oder die Ehe ihrer Eltern in eine Krise geraten war.“ Mein Mann blickte mich treuherzig an und legte seine Hand auf meine. „Nun, bei der Marlene war das wie bei vielen Mädchen in den späten 80ern: jung geheiratet, zwei Söhne und irgendwann der Punkt, an dem sie erkannte: mit dem Mann wollte sie nicht alt werden. Nicht dass die Ehe völlig zerrüttet war, das sicher nicht, aber sie wollte noch etwas anderes vom Leben kennen lernen als nur das Hausfrauendasein. Und die paar Stunden, die sie gelegentlich in einem Geschäft aushalf, die füllten sie nicht aus. Nicht mehr…“
Ich folgte der Erzählung neugierig, aber auch ein wenig irritiert und fragte mich, was mir Ali wohl damit sagen wollte. Der wiederum trank von seiner Kaffeetasse und nahm den Faden wieder auf. „Nun, man trennte sich also durchaus freundschaftlich. Die beiden Buben blieben sogar beim Vater. Marlene nahm sich eine Wohnung und begann in der Folge bald wieder Vollzeit zu arbeiten. Zum Ex und zu ihren Söhnen hielt sie weiter engen Kontakt, auch als sie sich wieder verliebte und nach nicht einmal einem Jahr wieder heiratete. Eine verrückte Idee, wenn du mich fragst, Vivi, das ist nicht unbedingt die Basis für eine Ehe, man muss einen Menschen lange und gut kennen um sich so zu binden…“ Sein Blick traf mich wieder, mit besonderer Intensität und es schien mir so, als würde er mich damit zärtlich berühren… Ali riss sich wieder los. „Und die Ehe scheiterte auch, sehr früh sogar, sie hielt keine drei Jahre. Wundert mich auch gar nicht…“
Ich schenkte Ali Kaffee nach, während er aus dem geöffneten Fenster blickte und die Sonne genoss. Mein Mann war ja wirklich besonderes angeregt heute obwohl er auch sonst nie ein Kind von Traurigkeit war. „Schließlich traf Marlene dann beim örtlichen Faschingsball einen Schulfreund wieder, allerdings von einer höheren Schule – ich kenne ihn nicht. Sie hat dann ganz verliebt gemeint, sie hätte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt wie an dem Abend. Die beiden tanzten, redeten und lachten und amüsierten sich und es begann ein intensiver Kontakt, von dem beide profitierten.“ Ali machte eine kurze Pause eher er fortsetzte. „Perfekt eigentlich, sollte man meinen, Vivi. Aber Marlene hat mir gegenüber auch eingeräumt, dass sie nach einer Unterleibsoperation vor ein paar Jahren kaum mehr sexuelle Bedürfnisse hat. Dieser Teil des Lebens war für sie abgeschlossen und ihr Schulfreund, der ihre Beziehung durchaus noch vertiefen hatte wollen, musste die Gegebenheiten zur Kenntnis nehmen. Was im Grunde ihrem Verhältnis keinen Abbruch tat: die beiden verstanden sie nach wie vor blendend, verbrachten viel Zeit miteinander und die meisten hielten sie für ein Paar, auch wenn sie nicht zusammen lebten.“
Ich nickte, das klang ja mehr als interessant und ungewöhnlich. Albert strich sich gedankenverloren durchs Haar. „Du musst dir vorstellen, Vivi, in der Situation, hat Marlene ihrem so genannten Freund dann den Vorschlag gemacht, sich eine Gefährtin zu suchen, die alle seine Wünsche erfüllen könnte, auch die sexuellen. Sie hatte einfach ein schlechtes Gewissen. Und stell dir vor, nach wenigen Wochen schon rief er sie an und gestand, er wäre verliebt, und die Neue wäre einfach eine tolle Frau…“ Ali lachte. „Katerstimmung bei Marlene und sie war ganz verwirrt und hat sich selber verwunschen, dass sie einen so passenden „Gefährten“ verscheucht hätte. Jemand wie ihn, das war ihr durchaus bewusst, würde sie nie wieder haben… Die nächste Zeit war nicht ganz einfach für die sonst sehr optimistische Marlene. Bis sich ihr Schulfreund unerwartet wieder meldete und sich mit ihr ein Treffen ausmachte. Marlene ging etwas unschlüssig in das Date, aber als der beim Essen so nebenbei erwähnte, er habe sich wieder getrennt und es hätte irgendwie nicht gepasst mit dieser Frau, begriff sie schnell. Und es lief zwischen den beiden wieder wie zuvor…“
Albert grinste zufrieden. „Ist das nicht eine wunderschöne Geschichte, Vivi? In einer Zeit, in der Sex so omniopresent ist und so stark überbewertet wird, ist so eine Geschichte einfach bezaubernd. Natürlich lieben sich die beiden, natürlich gehören sie zusammen, stärker wahrscheinlich als so manches Paar, dass sich über exzessiven Sex definiert und daran vermutlich auch einmal scheitern wird… Vivi, ich glaube, die beiden hält ein viel festeres Band zusammen, nämlich tiefe, ehrliche Liebe…“ Mein Mann schmunzelte, rückte näher zu mir und nahm mich in den Arm „…was aber jetzt nicht heißt, dass ich so völlig für sexlose Beziehungen eintrete, das sicher nicht, ein paar Ausnahmen dürfen ruhig sein…“
Nach einer wahren Begebenheit
© Vivienne