Die Stille im Raum war für einen Moment fast körperlich spürbar. Ich sah Albert direkt ins Gesicht, ich hatte verstanden, was er gesagt hatte, aber irgendwie begriff ich den Sinn nicht. Albert leckte sich etwas nervös über die trockenen Lippen und wiederholte: „Du würdest mir doch so etwas sagen? Nicht wahr, Vivi? Du machst aus deinem Herzen keine Mördergrube?“ Ich stand auf und blickte leicht verwirrt um mich. Ali hatte mir eben von einer Kollegin im Verkauf erzählt. Die Mittdreißigerin hatte erst vor wenigen Wochen ihren Mann nach über zehn gemeinsamen Jahren verlassen, und der Grund dafür lag in der mangelnden Bereitschaft ihres Lebensgefährten für gemeinsame Kinder.
Zu Beginn der Beziehung musste er sich bereit festgelegt haben, und die Frau hatte lange Jahre ihren Kinderwunsch unterdrückt. Bis sie in einem Chat einen netten Mann in ihrem Alter kennen gelernt hatte und sich die beiden verliebten. Die Kollegin hatte ihren Mann schließlich für diesen völlig unerwartet verlassen und nun war sie schon schwanger: ihr Neuer war ihren unterdrückten Kinderwünschen nämlich sehr aufgeschlossen gegenüber gestanden. Und abgesehen davon, dass Alberts Chef einmal mehr wegen einer Schwangeren in der Firma tobte, dürfte die Geschichte in meinem Mann einen abstrusen Gedanken geschürt haben…
Ich drehte mich zu Albert. „Wie kommst du auf den Gedanken, dass ich ein Kind will?“ Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich will kein Kind, ich bin gerade erst vierzig Jahre geworden.“ Ich lachte etwas schrill. „Da tu ich mir doch ein Kind nicht mehr an. In meinem Leben wimmelt es von Nichten und Neffen, das weißt du doch, und du selber hast deine Melanie, und die ist mittlerweile auch schon über fünf Jahre alt. Warum um alles in der Welt sollte ich in meinem fortgeschrittenen Alter noch ein Kind wollen?“ Albert starrte mich mit leicht geöffnetem Mund an. Er rang sichtlich nach Worten bis er einen Satz in den Raum stellte. „Ich dachte, alle Frauen wollen Kinder. Nur geben das halt nicht alle zu.“
Männliche Logik. Ich versuchte mein Temperament etwas zu zügeln. „Sag, Ali, wie lange rätselst du schon, ich könnte mir heimlich einen Junior wünschen? Erst seit deine Kollegin daheim ausgezogen ist oder schon länger?“ Albert wirkte fast ein wenig ertappt angesichts meiner offenen Frage. „Wenn ich ehrlich bin… in all den Jahren habe ich immer wieder damit gerechnet, dass du einmal diesen Gedanken an mich heranträgst. Weißt du Vivi,…“ Er bekam einen schelmischen Blick und legte den Arm um mich. „Vivi, als die Sache mit der Kollegin bekannt wurde, habe ich ein paar Leute in der Firma und auch meine Freunde ausgefragt. Und fast alle sagten sie mir überzeugt, egal ob Männer oder Frauen, eine Frau wünscht sich ein Kind. Vielleicht geben es nicht alle zu, aber im Grunde will sich jede Frau ein Nest bauen. Mit einem Kind. Und da schien die Überlegung, du könntest nur meinetwegen auf ein Kind verzichten wollen, gar nicht so abwegig zu sein. Verstehst, bei uns passt es, ziemlich gut sogar würde ich sagen, und welche Frau würde in so einer Situation nicht…?“
Ich machte etwas brüsk von Ali los. Mir war nicht ganz klar warum, aber Alis Geschichte und der Hintergrund dazu machten mich etwas nervös. Meine Erinnerung tauchte mich in jenen Frühling vor ein paar Jahren, als sich meine Tage verspätet hatten und Ali sich kurzfristig nicht bei mir blicken ließ, weil er sich in die verrückte Idee verrannt hatte, ich hätte ihn gegen seinen Willen zum Vater gemacht. Wir versöhnten uns allerdings schnell wieder, und außerdem hegte ich doch selber keinen Kinderwunsch. Im Grunde hatte ich den Gedanken schon vor Jahren ad acta gelegt. Freilich, hätte es mit Albert und mir früher geklappt, vielleicht… vielleicht wäre der Wunsch stärker geworden. Aber ich hatte unseren Komfort und unsere Freiheiten zu schätzen gelernt, und warum das alles aufgeben um mit über vierzig Jahren erstmalig Mutter zu werden? Ich war doch nicht verrückt!
Albert begann beschwichtigend auf mich einzureden. „Ich dachte doch nur… und es hätte doch sein können, dass du meinetwegen auf Kinder verzichten wolltest. Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen… aber… versteh mich nicht falsch… du sollst nur wissen, wenn du jetzt noch ein Kind möchtest, ich habe nichts dagegen… Nie möchte ich dich deswegen verlieren, verstehst du? Du bist mir viel zu wichtig!“ Einen Moment war ich sprachlos, ich wusste nicht, ob ich keppeln oder lachen sollte. Verrückte Idee auch, warum sollte ich noch ein Kind wollen? Unser Leben war doch so okay, wie es war, oder? Wortlos nahm ich Ali schließlich in den Arm, da tauchte diese irrwitzige Idee in meinem Kopf auf und begann mich zu bombarideren… Warum eigentlich nicht? Wenn nicht jetzt, dann nie mehr!
© Vivienne