Diesen Nachmittag erhielt ich ungebetenen Besuch von einem Zeitschriftenwerber. Mittlerweile ist es fast drei Jahre her, dass ich mich hier im Linzer Stadtteil Kleinmünchen angesiedelt habe. Derartige Besuche sind sehr selten, weil ich untertags in der Arbeit bin und diese Berufsgruppe mich dadurch auch kaum erreicht. Der Mann heute hatte insofern Glück, dass er mich antraf, und da er meinen Namen kannte, dachte ich zuerst, er wäre jemand von der Hausverwaltung. Seinen Namen, das möchte ich vorausschicken, hat er selber nie genannt. Selbstverständlich ließ ich ihn nicht in meine Wohnung, überfiel mich doch der Mann mit seinem Anliegen schon im Stiegenhaus – und mir wurde schnell klar, dass er ganz bestimmt nicht von der Hausverwaltung war…
Er erzählte mir, er habe mit 55 Jahren, nach einem Herzinfarkt und diversen Stants, noch einmal Arbeit gefunden. Er benötige dafür aber genügend Zeitschriftenkäufer. Nachdem er mir damit schon ordentlich an schlechtem Gewissen eingeimpft zu haben glaubte, wollte er mir per August ein Jahresabo der Freizeitrevue schmackhaft machen. Als ich mangels Interesse an dem seichten Blättchen ablehnte, schlug er geschickt die nächste Seite im Handbuch auf: die Zeitschrift GEO sollte monatlich mein Interesse wecken. Ich ließ mich nicht erweichen. Bei allem Mitgefühl für seine Situation war ich nicht gewillt die Verpflichtung einzugehen – besonders auch, weil meine eigene berufliche Situation angespannt ist. Die Freundlichkeit des Mannes zerfloss angesichts meiner Unnachgiebigkeit zur Fassade. Denn der (angebliche) Notstandshilfebezieher, den er als Musterbeispiel für einen hilfreichen Abonnenten bemühte, zog bei mir auch nicht. Schimpfend ging der Mann ein Stockwerk weiter – und ich nahm mir vor, in Hinkunft solche Leute gar nicht erst anzuhören…
Schlechtes Gewissen – eine altbekannte Masche. So mancher gibt so einem Drängen nach, auch wenn er das Produkt – von der Zeitschrift bis zum Haushaltsartikel – nicht gebrauchen kann. Schlechtes Gewissen, ein guter Verkäufer, auch im Privatleben. Wer schon einmal angepumpt wurde und eigentlich nicht geben wollte, kann ein Lied davon singen. Und auch wenn man die wie immer geartete Bitte abschlägt: die meisten können sich eines merkwürdigen Schuldgefühls nicht erwehren. Das liegt daran, dass sehr viele Menschen aus ihrer Kindheit einen mehr oder weniger starken Schuldkomplex mit sich herum tragen. Darauf spekulieren geschickte Verkäufer aber auch gerissene Mitmenschen, die sich Vorteile verschaffen wollen. In meinem Fall, obwohl selber durchaus Schuldkomplex-gebeutelt, hielt es sich in Grenzen. Weil meine finanzielle Situation nun mal nicht so geartet ist, dass ich mir einen zusätzlichen Fixposten aufhalse. Auch wenn es der Mann sicher nicht leicht hat: ich stehe mir nun mal näher…
Der Punkt ist, dass man viel öfter nein sagen sollte, wenn man etwas nicht tun möchte, wenn man nicht überzeugt ist oder schlichtweg keine Lust hat. Um des lieben Friedens Willen nachzugeben, wird nur zum Boomerang für einen selbst. Und konkret in meinem Fall: ich war diesem Mann nicht das Geringste schuldig, im Gegenteil. Er hatte sich mit einer nicht ganz kocheren Vorgangsweise Eintritt in meinen Block verschafft und sich nie selber vorgestellt. Nachträglich bin ich überzeugt, dass er mich überrumpeln wollte. Mitleid oder Mitgefühl sind ganz natürliche Reaktionen auf so eine Geschichte, aber solche Emotionen sollten nie so stark werden, dass man selber dabei auf der Strecke bleibt oder sich breit schlagen lässt: sei es für ein Abo oder für irgendwelche Dienste. Ein weiser Spruch sagt: Man sollte nie eine Entscheidung treffen, zu der man nicht lächeln kann.
In dem Zusammenhang fällt mir eine alte Geschichte ein, die sich vor etwa zehn Jahren zugetragen hat. Eine damalige Kollegin und Freundin wollte mich mit ihrem Bruder zusammenbringen, der allein einen Bauernhof bewirtschaftete. Die langjährige Lebensgefährtin war dem jungen Mann davon gelaufen, weil die schwere Arbeit sie anödete. Zudem war der Vater des Bauern todkrank, damit wollte die Kollegin mein Mitgefühl und mein schlechtes Gewissen auf den Plan rufen. Auf der anderen Seite stellte sie mir geschickt Mutterschaft in Aussicht, wenn ich einwilligen würde. Als Bauersfrau und Mutter des Hoferben würde ich doch endlich mein Glück finden. Inszeniert hatte die kluge Frau das Gespräch nach einem gemeinsam erlebten Tina-Turner-Konzert in Wien. In dieser besonderen Atmosphäre glaubte sie mich weichklopfen zu können – ohne dass ich ihren Bruder überhaupt kannte. Wie Sie alle wissen, liebe Leser, bin ich keine Bäuerin geworden, weil ich so bestimmt nie glücklich geworden wäre. Und das habe ich der Kollegin damals auch gesagt. Ich ahnte es zuerst nicht, aber daran sollte unsere Freundschaft zerbrechen – weil sie in ihrer Verzweiflung nicht nachgeben wollte.
Schlechtes Gewissen – durchaus ein gebräuchlicher Weg, um etwas zu erreichen. Aber kein anständiger, kein fairer. Man vergrault sich damit längerfristig liebe Menschen und gute Freunde, je nach dem. Manche durchschauen die Absicht und sind verstimmt. Andere geben einmal oder zweimal nach und ziehen sich irgendwann zurück – vielleicht für immer. Wenn man so im Schussfeld einer Mitleidsanmache steht, sollte man sich stets vergegenwertigen, was man selber wirklich möchte – und dass man nichts tun muss. Denn wenn man doch einmal zustimmt, könnte man genötigt sein, immer nachzugeben – obwohl man vielleicht immer weniger Lust dazu hat. Den Mitleidshaschern selber möchte ich nur empfehlen nachzudenken, ob der Erfolg die schlechten Mittel heiligt. Und ob es nicht andere Möglichkeiten gibt, die ehrbarer sind, etwas zu erreichen… Ein Denkanstoß!
Vivienne