Die Ballade vom Pedanten – Balladen, Fabeln und mehr

In der kleinen Stadt lebte in einem schmucken Häuschen ein sehr ordnungsliebender Mann. Im Haus war immer untadelig aufgeräumt und auf seiner Toilette hätte man essen können – so sauber war sie. Der Mann hatte für sich einen Plan aufgestellt, an welchen Tagen der Woche er wo putzte, aufwischte, säuberte oder polierte. Im Bad hatte er ein riesiges Regal stehen, das vollgefüllt war mit Putzmitteln, Reinigern und Putzlappen. Darauf war der Mann sehr stolz und er ließ es nicht zu, dass einmal ein Putzmittel zur Neige ging. In seinem Wohnzimmer konnte man kein Stäubchen finden und er wäre im Erdboden versunken, wenn es einmal eines gegeben hätte. Rund um das Haus hatte er nur Rasen, den er nie länger als 12 cm wachsen ließ. An einem festgesetzten Tag im Monat mähte er mit seinem Rasenmäher die Halme. Und keiner durfte auch nur ein wenig größer sein als der andere…

In seinem sterilen Haus fühlte sich der Mann sehr wohl. Hemden und Hosen bügelte er völlig faltenfrei und seine Schuhe glänzten. Er verbrachte den Tag nach Plan zu putzen und dabei hatte er nie das Gefühl, das ihm etwas fehlte. Andere Leute waren selten bei ihm zu Gast. Bevor er sie ins Haus ließ, mussten sie zuerst die Schuhe ausziehen und dann untersuchte er die Kleidung sorgfältig nach Fusseln und Fäden. Erst danach durften sie eintreten und Platz nehmen. Aber auch danach achtete er streng darauf, dass sie keinen Tee verschütteten und keine Kekskrümel auf dem Boden verteilten. So war es nicht verwunderlich, dass die seltenen Gäste meistens auch nicht lange blieben. Und sie schüttelten immer den Kopf über den putzwütigen Mann, bei dem man sich nicht wohl fühlte. Manche meinten sogar, der Mann wäre ein wenig seltsam oder nicht ganz richtig im Kopf.

Eines Tages kamen ein paar Leute in der kleinen auf die Idee, dem Pedanten doch mit einer Frau zusammenzubringen. Es wäre ja kein Wunder, dass der Mann etwas eigen geworden war, wenn er den Tag nur mit Putzen verbrachte und nichts anderes im Kopf hatte, als sein Haus sauber zu halten. Das sollte man ändern. Eine nette Frau im Alter des Mannes wurde als die Richtige auserkoren. Sie schien nicht abgeneigt, den Mann mit dem Reinlichkeitsfimmel ein wenig näher kennen zu lernen. So wurde arrangiert, dass die Frau diesen Mann besuchte. Um ihn zu erfreuen hatte sie eine Pflanze mitgenommen mit ein paar weißen Blüten. Sie klopfte an der Tür und der Hausherr öffnete. Er lächelte, grüßte sie freundlich und nachdem die Frau die Schuhe ausgezogen und saubere Filzpantoffel an den Füßen hatte, gingen sie gemeinsam ins Wohnzimmer. Der Mann hatte den Tisch hergerichtet mit seinem weißen Teeservice ohne Dekor und den obligaten Keksen aus dem Supermarkt. Die Pflanze hatte er dankend genommen und im Vorraum hingestellt.

Die Frau setzte sich etwas unsicher hin und langsam kam eine Unterhaltung zwischen den beiden in Gang. Der Mann erzählte bald von seinem Leben und dass er jeden Tag von früh bis spät putzte. Die Frau hörte mit offenem Mund zu, wie ihr Gastgeber mit leuchtenden Augen berichtete, welche Freude er empfand, dass sein Haus so sauber war. Sie sah sich um und stellte fest, dass er nirgends Zierrat oder Nippes im Wohnzimmer hatte. Der Raum wirkte zwar ganz sauber und aufgeräumt aber kalt und leer. Der Vorhang war dunkel und er ließ wohl, wenn er erst zugezogen war, kein Licht mehr in den Raum. Währendessen erzählte der Mann weiter. Die Blicke seines Gastes fielen ihm gar nicht auf. Er war versunken in seinen Monolog und schließlich schüttelte die Frau den Kopf. Nein, dieser Mann hatte kein Interesse an ihr oder an irgendeiner anderen Frau. Er lebte für das Putzen und das sollte er ruhig…

Sie stand also auf um sich zu verabschieden. Länger bleiben wollte sie auf keinen Fall. Der Mann unterbrach seinen Monolog ungern, das konnte sie sehen. Er geleitete aber die Frau gleich höflich hinaus und schloss die Tür hinter ihr wieder. Sofort steckte er die Filzpantoffeln, die sie getragen hatte, in die Waschmaschine. Die Pflanze entsorgte er bedenkenlos im Mülleimer – Pflanzen machten ja doch nur Mist. Dann räumte er das gebrauchte Teeservice in den Geschirrspüler und wischte den Tisch sorgfältig ab. Zufrieden sah er sich um. Ja, jetzt war es endlich wieder sauber, ganz so, wie er es liebte und schätzte…

Vivienne

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