Auch wenn der Herbst bei uns ungewöhnlich milde Einkehr gehalten hatte und uns mit Temperaturen mit bis zu zwanzig Grad verwöhnte: in den Nächten kühlte es doch immer wieder empfindlich ab und die nebeligen Morgen ließen Nächte auswärts auch nicht so erstrebenswert scheinen – für unsere Katzen natürlich. Sowohl Susi, die ungestüme, junge Dame als auch unser alter Stocki lernten nun ein Dach über den Kopf wieder schätzen. Wobei sich Stocki und Susi im Haus so manchen Kampf lieferten, denn die Kleine ließ keine Gelegenheit aus, ihren „Onkel“ mit den älteren Rechten zu ärgern…
Kopfschüttelnd beobachtete ich wieder einmal im Stiegenhaus, wie die Ohrfeigen zwischen den beiden ungleichen Katzen flogen. Wobei sich Stocki immer stark zurücknahm, wenn der richtig losgelegt hätte, wäre nicht viel von der kleinen Susi übrig geblieben. Allerdings kümmerte ich mich nicht lange um das Katzengeschwader. Humpelnd begab ich mich mit Hilfe der Krücken ins Bett, denn lange durfte ich mich mit meinen eingerissenen Bändern nicht auf den Beinen halten. Wenn ich an den kommenden Mittwoch dachte, bekam ich schon fast ein Trauma: noch eine Woche mit Gips würde ich unmöglich durchstehen! Mit diesen wenig erfreulichen Gedanken schlief ich schließlich doch ein.
Es muss gegen Mitternacht gewesen sein, als ich mich eine wohl bekannte Stimme weckte: Miau! jammerte sie kläglich, und immer. Am tiefen „Tonfall“ war mein Stocki unschwer zu erkennen und während ich mein Gesicht im Kissen vergrub, ging mir nur ein Satz durch den Kopf! Ich steh nicht auf! Nein! Niemals! Mir war schon klar, dass Stocki raus wollte, ja, wahrscheinlich sogar sein Geschäft verrichten musste. Aber bis ich bei der Haustür sein würde, mit meinen Krücken, und danach wieder im Bett! Ich schüttelte den Kopf und vergrub mich noch tiefer im Bett. Irgendwann hörte Stocki zu miauen auf und ich versank wieder in Morpheus Armen…
Am nächsten Morgen erschrak ich im Stiegenhaus. Die Futternäpfe der Katzen lagen durcheinander, Milch war ausgeschüttet und ich musste sehr aufpassen, um nicht auszurutschen. „Hat eine Bombe eingeschlagen?“ fragte ich meinen Vater. Er zuckte die Achseln. „Wir wissen nicht, was los ist. Zuerst dachten wir, dein Bruder wäre im Dunkeln in die Futterschütteln getreten. Aber der ist gestern Abend sehr bald heimgekommen. Und die Katzen können auch nicht gestritten haben, denn Susi war diese Nacht auf dem Dachboden eingesperrt. Ich habe sie eben erst befreit…“ Ich starrte auf das Chaos am Boden. Unbegreifbar! Beherbergten wir etwa schon Poltergeister? Aber wie auch immer, da musste Ordnung geschaffen werden, denn unsere Katzen lechzten nach Futter…
Ein weiterer Tag im Bett ging vorüber. Auch ein längeres Telefonat mit meinem Freund ließ meinen Trübsal nur kurz verschwinden, weshalb ich diesen in Kaffee zu ertränken versuchte. Jeder Tag mit Gips war wie der andere: öd, langweilig, trist… Dabei war immer so herrliches Wetter draußen, aber ich konnte nicht hinaus. Die Belastung für das Sprunggelenk wäre zu groß gewesen. So blieben mir nur der Blick aus dem Fenster und die Welt des world wide web. Irgendwann nach den Simpsons ging auch dieser Tag zu Ende und ich schlief ein, die Fernbedienungen auf der Decke und das Fernsehgerät laut eingeschaltet. Schießgeräusche weckte mich auf, aber dazwischen immer wieder leisere, ungewohnte Töne. „Stocki?“ Ich schreckte hoch.
Miau! Stockis Stimme vor der Tür war nicht zu überhören. Nein! Ich schob meinen Kopf unter das Kissen. Nein! Was wollte dieser dumme Kater immer nur von mir? Als ich das nächste Mal aufwachte, plärrte das Fernsehgerät noch immer. Aber ohne Teilnahme von Stocki, wenigstens was! Am nächsten Morgen sah das Stiegenhaus wieder wie nach einem Angriff von Skin Heads aus. Und während ich sprachlos das Chaos in mich aufnahm, wusste mein Bruder schon mehr. „Das war Stocki. Keine Ahnung, warum er so wild geworden ist, aber ich habe ihn selbst dabei erwischt!“ Schuldbewusst wandte ich mich ab. Natürlich! Stocki hatte die beiden letzten Nächte offenbar ein paar Verabredungen vor dem Haus gehabt, welcher Natur auch immer. Doch ich hatte mich nicht erbarmt, ihm die Tür zu öffnen – was begriff der Kater schon mein Gipsproblem? Also hatte er sich oben ausgetobt und das nicht zu knapp! Konnte man da Stocki ernsthaft böse sein?
Vivienne