Pfarrer Heinz Stadlbauer schloss die Tür der Sakristei lauter als nötig. Er hatte noch jedes Wort der Debatte mit der Chorleiterin des Kirchenchors, Anneliese Schiffner, im Ohr. „Das geht nicht!“ Ihre Stimme hatte vor Empörung gezittert. „Eine lateinische Messe bei der heurigen Christmette? Und dazu noch das berühmte Transeamus? Wie stellen Sie sich das vor, Herr Pfarrrer? Wir sind doch ein Laienchor und keine Profis!“ Stadlbauer hatte sie lange angesehen und wählte dann seine Worte mit Bedacht. Nur kein Streit mit der Schiffner! Die wäre imstande gewesen, den halben Chor gegen ihn und die großen Pläne für die Christmette aufzuwiegeln. „Anneliese, natürlich ist so eine Idee ein ambitioniertes Projekt, ein ungewohntes Unterfangen, das wir hier bei uns noch nie in Angriff genommen haben. Aber es ist machbar, ich weiß doch, wie engagiert die Leute in Ihrem Chor sind – warum sperren Sie sich so? Mit Gottes Hilfe werden wir es schaffen!“
Anneliese Schiffner hatte nur den Kopf geschüttelt. „Aber verstehen Sie denn nicht, Herr Pfarrer? In unserem Chor sind durchwegs Leute, die keine Noten lesen können. Die kein Latein verstehen und diese Sprache auch nicht richtig lesen können! Warum auf einmal so hochtrabende Pläne, Herr Pfarrer? Die alten, bekannten Weihnachtslieder waren doch bisher auch gut genug für uns! Jeder kennt sie und es war immer eine Freude sie zu proben. Kann es vielleicht einfach sein, dass Sie sich mit der Nachbarpfarre messen wollen? Hat Pfarrer Winnetshammer nicht auch schon im letzten Jahr eine lateinische Weihnachtsmesse aufführen lassen? Oder irre ich mich?“ Der Hieb hatte gesessen und Pfarrer Stadlbauer hatte sich eingestehen müssen, dass Frau Schiffner nicht ganz Unrecht hatte mit ihrer Vermutung. Natürlich war er von den Ideen des Kollegen in der anderen Pfarre inspiriert worden und wenn er daran dachte, wie viele Schäfchen dort im letzten Jahr die Christmette vor allem wegen der lateinischen Messe besucht hatten, wurde er fast bedrückt.
Viele regelmäßige Kirchengänger gab es in seiner Pfarre nicht mehr, das lag an Skandalen hier und dort und auch an einem anderen Kollegen, der vor kurzem geheiratet hatte und Religionslehrer geworden war. Konnte er den Menschen einen gewissen Unmut und Frustration verübeln? Er selber hatte oft seine Zweifel an seiner Berufung und auch wenn seine Krisen immer wieder vorübergingen: Er würde schon auch mit mehr Freude und Feuer predigen, wenn seine Kirche regelmäßig und mehr gefüllt gewesen wäre. Bisweilen fanden sich Leute bei ihm im Pfarrhaus ein, die er nicht einmal vom Sehen kannte. Die wollten dann heiraten oder ihre Kinder taufen lassen… Und danach sah er sie meistens auch nicht mehr wieder. Wäre es nicht herrlich, auch diese Menschen dafür zu begeistern, öfter den Gottesdienst zu besuchen? Stadlbauer schloss die Tür auf und trat ein. Er rief sich die letzten Worte seines Gesprächs mit Anneliese Schiffner in Erinnerung. „Und was, Anneliese, wenn ich Ihnen jemanden zur Seite stelle, der Sie unterstützt und Ihnen einen Teil der Arbeit abnimmt? Weil er Erfahrung hat mit derartigen Messen?“
Frau Schiffner hatte ihn offenen Mundes angestarrt. „Sie kennen da jemanden? Das ist ja ganz was anderes. Dann könnte man sich das überlegen… ja.“ Plötzlich hatte sie genickt. „Dann liegt die Sachlage natürlich völlig anders!“ Stadlbauer seufzte. Er kramte in seinen Notizen. Wo hatte er nur Georgs Nummer? Georg war ein Schulfreund, und es war mittlerweile fast zwei Jahre her, dass sie sich zuletzt getroffen hatten. Dabei wohnte Georg Ofner mit seiner Familie gar nicht einmal so weit von hier. Mit dem Auto jedenfalls ein Katzensprung. Wenn er, Stadlbauer, ehrlich war, hatte er gegenüber der Schiffner ziemlich hoch gepokert. Er hatte keine Ahnung, ob er Georg überhaupt erreichen würde, und noch viel weniger, ob Georg bereit wäre, dem Kirchenchor beim Einstudieren der schwierigen Messe zu helfen. Oder konnte. Immerhin war so eine Aufgabe auch eine Zeitfrage und Georg war schließlich Familienvater. Aber er konnte Georg zumindest einmal fragen… Fragen kostet nichts! Pfarrer Stadlbauer hob den Hörer ab und wählte die Nummer…
Vivienne