Vor ziemlich genau einem Jahr, am Ostersonntag 2005, starb unsere alte Minki an den Folgen eines Unfalls – sie war von einem Autofahrer angefahren worden. Ein langer Lebensabschnitt ging damit zu Ende, fast sechzehn Jahre hatten wir mit unserer Hauskatze verbracht, aber dennoch sollte es bis zu ihrem unerwarteten Tod dauern, dass wir bemerkten, dass sie mit dem Kater unseres Nachbarn eine enge Beziehung verband. Denn der Kater wartete immer vor der Haustür darauf, dass Minki erscheinen würde um sich mit ihm zu verziehen… Aber Minki kam nicht mehr, was den Kater nicht abhielt, trotzdem längere Zeit danach weiter vor der Tür zu warten. Irgendwann muss er aber doch begriffen haben, dass Minki nicht mehr lebte…
In der Folge habe ich ihn noch öfter auf unserem Grundstück gesehen. Besonders gern trieb er sich im Garten herum, wo er gerne in der Sonne lag, und mir wurde klar, dass er hier wohl auch sehr viel Zeit mit Minki zugebracht haben musste. Im Grunde war es mir neu gewesen, dass Katzen so etwas wie eine Zweierbeziehung leben können, aber in diesem Fall war das ganz offensichtlich passiert. Und ob ich wollte oder nicht, wenn ich den weiß-schwarzen Kater im letzten Sommer sah, wurde ich auch immer an unsere Minki erinnert. Und ich fragte mich bisweilen, wie wohl so eine Katze etwas Derartiges wie Trauer verarbeitet. Fraß er deswegen vielleicht weniger? Wenn ich ehrlich war: Boris, so hieß der Kater, war schon einmal etwas dicker gewesen – oder redete ich mir das nur ein?
Mir fiel auch ein, wann ich Boris das erste Mal gesehen hatte. Breit auf dem Bett meiner Schwester ausgestreckt schlief er den Schlaf des Gerechten, als ich ihn entdeckte und gleich hinausjagte. Er musste durch das offene Fenster hereingekommen sein und hatte der Versuchung nicht widerstehen können, es sich auf dem weichen Bett gemütlich zu machen. Der Kater verübelte mir das in Folge sehr, er ging mir geflissentlich aus dem Weg, aber immerhin hat er sich auch nicht mehr getraut, noch einmal durch das Fenster einzusteigen… Ich hätte es ihm auch nicht geraten. Unser Haus war immer das alleinige Terrain unserer Katzen gewesen, und damals war das noch Minki allein, denn Stocki war noch nicht geboren…
Wie sich Stocki und Boris vertrugen wusste ich im Grunde nicht wirklich. Einmal abgesehen davon, dass Boris ganz sicher nicht Stockis Vater sein konnte, gehe ich davon aus, dass die zwei sicher genauso oft miteinander gerauft haben wie andere Kater. Die Liebe zwischen Minki und Boris musste sich also erst nach und nach entwickelt haben – sonst würde Stocki heute ganz anders aussehen: er müsste dann nämlich ein halb braun getigerter, halb weißer Kater sein, vielleicht mit ein paar schwarzen Flecken dazwischen. Ehrlich gesagt gefällt mir mein Stocki in seinem Fuchsrot ohnedies besser. Jedenfalls begann ich nach Minkis Tod Boris und die offensichtliche Zusammengehörigkeit der beiden Katzen mit anderen Augen zu sehen – vielleicht auch, weil ich in Boris ein wenig von Minki zu sehen glaubte.
Das konnte ich zwar in Stocki durchaus auch, und trotzdem war das aber etwas anderes. Denn unsere Minki und ihr Sohn waren ständig in Revierkämpfe verwickelt. Nie konnte ich die beiden in trauter Eintracht beobachten, nie, seit dem Stocki ein ausgewachsener Kater geworden war. Boris hingegen musste wohl zärtliche Gefühle in unserer Katze geweckt haben, auch wenn uns verborgen blieb, wie sich diese Katzenliebe entwickelt hatte. Eine Liebe, an die ich wieder denken musste, denn in dieser Woche ist Boris, wenige Tage vor dem Jahrestag von Minkis Tod, selber gestorben. Er war krank gewesen, hatte uns der Nachbar berichtet, er litt an einer Art Katzenseuche, der er schließlich erlegen war. Ich konnte das zuerst gar nicht glauben, vor allem, weil mir der zeitliche Zusammenhang mit Minkis Tod sofort aufgefallen war. Welch eigenartiger Zufall!
Nun sind also beide Katzen nicht mehr, fast wie im Tod vereint, und wenn ich an Minkis Grab unter unserem Fliederstrauch vorbeigehe, werde ich in Hinkunft an beide Katzen denken müssen. Zwangsläufig, denn die beiden Katzen gehörten zusammen, auch wenn wir das so lange nicht ahnten…
(C) Vivienne