Albert kam spät von der Arbeit nach Hause, küsste mich zur Begrüßung und setzte sich zum Tisch. Er war wieder recht gut gelaunt und begann das Kotelette, das ich ihm vorsetzte, mit Appetit zu verspeisen. „Wie war es beim Arzt?“ fragte er mich schließlich, heftig kauend. Ich nickte ihm zu. „Passt wieder alles, die Mittelohrentzündung ist endlich abgeklungen und ich höre meinem Alter entsprechend normal. Was immer das heißt…“ Ich hatte schon gegessen gehabt, setzte mich aber trotzdem zu meinem Mann um ihm Gesellschaft zu leisten. „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe im Wartezimmer des Arztes einen alten Bekannten gesehen, oder besser gesagt, einen Mann aus der Siedlung, in der meine Eltern wohnen. Ein Bankangestellter damals, Gerfried Haller, recht arrogant und eingebildet und voller so genannter „Standesdünkel“. Er hat sich immer schon für etwas Besseres gehalten und hatte wegen einer seiner Ehefrauen ein Haus hier im Mühlviertel gekauft und sich dort niedergelassen. Die Frau war allerdings bald wieder weg – den feinen Pinkel hat manche Frau verlassen, weil sie es nicht mit ihm ausgehalten hat. So wurde zumindest hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Mag schon was Wahres dran gewesen sein…“
Albert schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein. „Die Wiedersehensfreude heute war aber sicher enorm.“ Albert kommentierte meine Erzählung recht trocken. „Hat er dich wieder erkannt?“ „Wo denkst du hin?“ widersprach ich ironisch. „Für den alten Herrn waren wir, meine Familie, doch früher schon nie gut genug. Der verkehrte ihn anderen Kreisen, und jetzt wird es wohl nicht anders sein, auch wenn er schon ein sehr alter Herr mit schlohweißen Haaren ist – aber eben auch eine durchaus nette Rente kassieren dürfte von der unsereins nur träumen kann. Aber grundsätzlich kümmert mich das nicht…“ Ich räusperte mich. „Weißt du, Schatz, der feine Herr hat sich nie besonders beliebt gemacht bei uns, weil er sich lieber unter Seinesgleichen aufhielt. Wenn er in ein Geschäft kam, wurde er immer zuerst bedient und war das einmal nicht der Fall, dann drehte der Herr Haller ordentlich auf. Sogar der Herr Bürgermeister grüßte ihn mit der Hand. Also da siehst du wieder, Ali, Geld ebnet alle Wege…“
Ali stand auf und räumte seinen Teller und das Besteck in den Geschirrspüler. „Wundert mich gar nicht in diesem Land… Der Typ hatte sicher ein Auftreten, dass ihm Respekt, Achtung und eben auch Angst entgegengebracht wurden.“ „Durchaus“, räumte ich ein. Weißt du, der Haller war ja damals schon nicht mehr jung, als er auf’s Land zog. Er stand damals sogar kurz vor der Pensionierung, weil er einen Herzinfarkt erlitten hatte. Was so erzählt wurde, wegen einer Kellnerin aus einem Linzer Altstadtlokal, nach der Sperrstunde, du weißt schon bei was… Aber vielleicht war das auch nur gehässig nachgesagt. Und da ihn seine damalige Frau erst kurz zuvor verlassen hatte, wandelte er nach einem Kuraufenthalt gesundet wieder auf Freiersfüßen. Er wollte sich wieder beweisen… Sein Auge fiel dabei auf eine Krankenschwester, die damals in der Grünwaldsiedlung lebte und im Linzer AKH arbeitete. Die blonde Frau, Hilde Vogel, war etwa Mitte dreißig damals und, ich glaube, einmal geschieden. Die Rechnung des Herrn Haller war ganz einfach. Er suchte eine hübsche Frau für’s Bett und gleichzeitig eine, die ihn pflegen würde, wenn ihn Krankheit und Siechtum wieder einholen würden. Und sein Geld, sein Ruf und sein Status würden schon ausreichen, dieses Ziel zu erreichen, davon war er überzeugt.“
Ali grinste. „Aber geh… wollte er, der feine Pinkel. Und wie hat die zukünftige Frau Pinkel das gesehen?“ Ich grinste zurück. „Du wirst es nicht glauben, da gab es jede Menge Hindernisse. Erstens machte die Auserkorene kein Hehl daraus, dass ihr Herr Haller einfach zu alt war. Alt genug nämlich um ihr Vater zu sein. Und zweitens hatte sie zwei Katzen. Und der selbst ernannte Bräutigam in spe hasste Katzen wie die Pest. Angeblich hat er auch alle anderen Katzen in der Siedlung mit Steinen vertrieben, weil er sie nicht in seinem Garten duldete. Aber die Hilde Vogel hatte nicht die geringsten Ambitionen, sich von ihren Katzen zu trennen. Sie liebte sie fast wie eigene Kinder und hätte sie nie einer Beziehung mit dem älteren Herrn geopfert. Einem älteren Herrn, der ihr im Grunde gar nicht wirklich sympathisch war. Ich habe selber gehört wie sie einmal erläutert hat, sie brauche keinen Mann, der ihr sage wo es lang geht. Das wisse sie selbst – und diese Aussagen waren wohl eindeutig in seine Richtung gemünzt. Dass der Herr Haller keinen Widerspruch duldete, war schließlich im ganzen Ort bekannt.“
Ali stand auf, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. „Sieht mir nicht so aus, als ob das die große Liebe gewesen wäre…“ tönte er aus der Küche. „Nein, das war sie auch nicht, eigentlich war es gar keine Liebe gewesen sondern nur eine anvisierte Zweckgemeinschaft zum Vorteil des Herrn Haller. Aber der Plan scheiterte, denn schließlich – Haller ließ seine Avancen nicht bleiben und wollte Hilde sogar einen Hund als Ersatz für die Katzen einreden – holte sich Hilde eine dritte Katze von einem Bauern aus der Umgebung. Eine eindeutige Antwort.“ Ich musste kichern. „Viele Leute haben damals gelacht, eher heimlich zwar, aber die Geschichte wuchs sich letztlich zu einer ziemlichen Abfuhr aus. Haller fuhr beleidigt drei Wochen auf Urlaub in den Süden und kam mit einer Polin zurück, die zwar schlecht deutsch sprach, aber üppig gebaut war und ihren „Zweck“ wohl voll erfüllte. Aber wenn du mich fragst, Ali, so richtig zufrieden und glücklich hat Herr Haller mit der neuen Freundin nie ausgesehen…“
© Vivienne