Das Seminar

Sonntagabend, gegen 21:00 Uhr hörte ich Albert endlich an der Tür. Zwei Tage war ich jetzt Strohwitwe gewesen, weil Albert von der Firma aus zu einem Seminar in Gmunden gefahren war. Jetzt war die männerlose Zeit wieder vorbei und Albert fiel mir um den Hals. Minuten später saßen wir schon am Küchentisch und tranken trotz der fortgeschrittenen Tageszeit Kaffee. Albert grinste von einem Ohr zum anderen, inhalierte den Rauch seiner Zigarette und stocherte in den mit Pilzsauce überbackenen Nudeln, die ich heute Mittag zubereitet hatte. „Na, wie war es?“ konnte ich mit meiner Neugierde nicht hinter dem Berg halten.

Albert begann zu kichern. „Es war großartig, Vivi. Einfach großartig! Mein Gott, was haben wir gelacht…!“ Ich beobachtete meinen Mann belustigt. Das Persönlichkeitstraining hatte ihm wirklich gut getan, so überdreht hatte ich ihn lange nicht gesehen. Dabei war mein Ali ohnedies selten ein Kind von Traurigkeit und neigte im Gegensatz zur herkömmlichen Meinung über Skorpiongeborene nicht unbedingte zu Schwermut. Albert trank ein wenig Kaffee und zwinkerte mir zu, dann begann er zu erzählen. „Na, der Herr Dr. Sageder war schon ein sehr netter Kerl, sehr jovial, sehr freundlich und schrecklich oberflächlich! Seine Freundlichkeit war so aufgesetzt, dass ihn ein Stein durchschaut hätte! Ich musste so aufpassen, damit ich nicht ständig kicherte… oder lauthals loslachte! Du hättest dabei sein müssen, Vivi!“

Es folgten ein paar eher belanglose Erzählungen von der Vorstellungsrunde, in der Ali wie schon erwartet, mit seinem Sarkasmus den Vogel abgeschossen hatte, bis mein Mann sehr überraschend zum Abendprogramm wechselte. „Das Seminar dauerte bis 19:00 Uhr, danach war eine Stunde Abendessen angesagt. Gerade als ich mit ein paar Kollegen laut darüber nachdachte, in welchem Lokal wir den Tag ausklingen lassen könnten, ergriff Dr. Sageder wieder das Zepter. Liebe Leute, für heute Abend haben wir etwas ganz Besonderes anvisiert. Wir möchten gerne die Gemeinschaftlichkeit unter Ihnen fördern und zwar mit einem Gesangsabend. An dieser Stelle, liebe Vivi, musste ich wieder laut lachen. Ich habe seit der Schulzeit nicht mehr gesungen, mal abgesehen von dem letzten Bryan-Adams-Konzert, aber da eher im Hintergrund, wie du sicher verstehst. Die Massen hätten sonst wohl die Konzertarena verlassen. Fluchtartig!“

Mein Mann zündete sich eine weitere Zigarette an. „Es war köstlich, liebste Vivi! Wir begannen mit „Hoch auf dem gelben Wagen“, danach folgt „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“! Die Gesangsbücher mit „Deutschem Liedgut“ und „Rockklassikern“ waren schnell ausgeteilt und wir sangen alle engagiert und ziemlich falsch. Alle Getränke an dem Abend waren kostenlos, Viv, und ich bestellte ziemlich fleißig, damit die Kehle gut geölt war. Gebracht hat es zwar wenig, mehr Gehör bekam ich dadurch nicht, aber das Singen machte umso mehr Spaß! Und wir kamen in Stimmung. Als „C A F F E E , trink nicht so viel Kaffee“ kam, konnte nicht nur ich mich kaum noch vor Lachen halten, wir haben teilweise laut losgeprustet und kaum mehr Luft bekommen. Dr. Sageder war teilweise sehr ungehalten deswegen aber er versuchte mühevoll, die Fassade zu wahren. Schließlich konnte er sich als Psychologe keine Blöße geben…“

C A F F E E , trink nicht so viel Kaffee! Da musste auch ich schmunzeln, das, was Ali da erzählte, klang nach viel Spaß und Amüsement. Bei solchen Gelegenheiten war mein Mann in seinem Element und er setzte auch gleich seine Erzählung fort. „Was wir noch gesungen haben… „Kein schöner Land in dieser Zeit“, dann auch ein paar Sachen von den Stones und anderen Legenden: „Smoke on the Water“, „Satisfaction“, „Let’s spend the Night together“ oder „Take me home, Countryroad“. Wir, das heißt ich, haben natürlich immer wieder mit der Luftgitarre improvisiert, es war ein Heidenspaß. Mit der Zeit war ich natürlich etwas angeheitert, aber das war ganz gut so, sonst hätte ich mich vermutlich einmal mit dem Herrn Psychologen angelegt. Du weißt ja, was ich von solchen Herren halte. So zog ich ihn nur ein wenig durch den Kakao und da konnte er sich nicht aufregen…“

Der zweite Tag verlief dann etwas leiser, die Nacht war kurz gewesen und auch Albert ging der Schmäh ein wenig aus. Der Spaß kam aber trotzdem nicht zu kurz, vor allem beim Abschiedsspiel. Jeweils zwei Partner wurden zusammengelost und mussten sich gegenseitig vier positive Eigenschaften des jeweils anderen intuitiv nennen. Ali grinste wieder breit. „Ich hatte solche Angst, dass ich unserem Chef Rossecker zugelost werden könnte. Was hätte ich dem nur an positiven Eigenschaften nennen können? Schönes Hemd? Neue Schuhe?“ Ali begann wieder zu kichern. „Aber ich hatte Glück und Frau Eigner war froh, über das, was ich ihr so auf den Kopf zusagte.“

„Was sagte denn die Frau Eigner über dich?“ konnte ich mir ein Nachstochern nicht sparen. Ali kicherte erneut. „Humorvoll.“ Er konnte sich kaum beruhigen über den Gag und auch ich lachte laut mit. „Hmhm… Kompetent. Und was sagte sie noch? Belastbar. Engagiert. Das vierte fällt mir jetzt nicht ein. Gehen wir endlich schlafen, Vivi?“ Also mir wäre da noch so manches an Eigenschaften eingefallen, wenn ich ehrlich war, aber das konnte Frau Eigner schließlich nicht wissen…

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne

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