Das Leben, ein Traum?

Das Leben, ein Traum?
von chefschlumpf

Da sitzt ein alter Herr auf seinem Sofa
und denkt daran, wie es war.
Was ihm blieb, ist der alte
Kasten,
welcher ihm die reichlich vorhandene Zeit vertreibt.
Der noch die Welt auf einem dicken Glaskörper abgebildet.
Diese Welt, wie sie dem alten Herrn schon beinahe
nicht mehr erinnerlich sein darf.
Diese verdammte Welt, die sich auch noch weiter dreht,
obwohl es dem alten Herrn schon lange
nicht mehr möglich ist, sich einen festen Halt auf ebendieser zu suchen.
Früher ja!
Da war alles so klar und übersichtlich.
Er hatte seine sie, seine Kinder und zuletzt ja auch noch die Enkel.
Sie war mit sechzig nicht mehr zu ihm
aus dem Krankenhaus zurückgekehrt,
einer Frauengeschichte wegen,

Sein erster hatte sich dem Suff ergeben,
nachdem seine Frau ihn mit seinem besten Kumpel
verlassen hatte.
Zunächst hatte der alte Herr noch geglaubt,
er könne ihn an sich binden,
wenn er nur immer eine Flasche Korn im Kühlschrank
für diesen aufbewahren würde.
Doch zuletzt kam er immer seltener,
nur weil der alte Herr ihm immer Vorwürfe gemacht hatte,
nachdem auch zu ihm durchgedrungen war,
dass sein erster schon lange seine Arbeit verloren hatte.

Die Anderen hatten sich sehr schnell von ihm und ihr gelöst.
Sie hatten schon sehr früh ihre Zukunft von der der Alten unabhängig gesehen.

Der alte Herr greift sich in das schüttere Haar.
War es seine Schuld, dass sich alles so entwickelte?
Scheinbar!
Er hätte sich wohl doch schon beizeiten
um seinen Lebensabend kümmern sollen!
Natürlich war im von Anfang an klar,
dass auch er älter würde und dieses sich nicht nur damit bemerkbar machen würde,
dass er des Morgens immer etwas mehr Zeit benötigte,
um aus den Federn zu kommen.

Sie fehlte ihm, dem alten Herrn.
Sie, die immer um ihn war.
Die ihm über all die Jahre immer eine treue Begleiterin war und die ihm immer das Gefühl gegeben hatte, ihr Held zu sein.

Der alte Herr schaute eigentlich nie auf den alten Kasten,
der schon seiner Einsamkeit wegen,
immer bei gedämpfter Lautstärke vor sich hin flimmert.
Er dachte schon früher, eigentlich schon direkt nach ihrem Tod
darüber nach, wie es wohl wäre,
wenn es irgendwo auf dieser Welt,
die sich ihm nur noch durch gedämpfte Lautstärke
und unverständliches Geflimmere auf einem alten Glasrohr zeigte,
ein menschliches Wesen gäbe,
was ihm in seiner Einsamkeit so etwas wie Rückhalt geben könne.
Sie?
Ein Weib?
Es würde nur ein Weib sein können!
Alles andere war außerhalb seiner Vorstellungskraft.
Und jung müsse das Weib sein, nicht zu sehr jung, vielleicht so etwa zwanzig Jahre jünger?

Der alte Herr kommt ins Schwärmen.
Er kann sich noch sehr gut daran erinnern, wie es war, als sie sich ganz nah an ihn schmiegte.
Er glaubt sogar, noch ihren sinnlichen Duft zu atmen.
Es sind solche, allzu seltene Momente, die sein Herz erfreuen und die ihn entführen.
Entführen in eine Welt, deren Existenz immer mehr hinter scheinbar undurchsichtig werdenden Vorhängen verschwinden will.
Traurigkeit ergreift ihn.
Traurigkeit, die er schon lange mit einem ganz anderen Begriff zu verwechseln scheint.
Traurigkeit ist ihm gleichzusetzen mit Einsamkeit und dieses schon so lange er sich zurückersinnt.
Sich zurückersinnen kann!
Sie würde sie ihm nehmen können. Die Traurigkeit, die er empfindet seit dem Tod.
Er innert manchmal, dass es Frauen waren, die im Mittelpunkt seiner Sehnsucht standen, als er noch nicht die nahe Verwandtschaft von Sehnsucht und Traurigkeit erkennen wollte.
Traurigkeit, die eine nahe Schwester der ihr sehr nahe stehenden Sehnsucht zu sein schien.
Sie würde es sein, die ihm das zurück bringt, das was er das Leben nennt.
Dieser unscharfe Begriff, der sich ihm scheinbar immer wieder entziehen will, immer wenn er darüber nachdenken will.
Das Leben?
Was genau ist es, was dieser Begriff ausdrückt?
Leben ist, morgens seine Knochen zu spüren, wenn man sich entschließt aufzustehen und sei es nur, weil der Zeitungsbote wieder einmal das lang erwartete Blatt in seinem Brieffach deponierte.
Post gab es schon lange höchst selten und wenn, dann nur von der Rentenanstalt, oder den verschiedensten Dienstleistern im Stadtviertel, die auf sich und ihre Dienste aufmerksam machten.
Sie würde ihm einen neuen Zeitplan aufzwingen!
Ein Diktat, dem er sich gerne unterwerfen könne.
Sie würde ihn umkrempeln müssen.
Es würde nicht leicht für ihn, aber es würde doch vieles leichter machen.
Das Leben wäre alles andere als nur noch ein Traum.
Das Leben wäre auf einmal wieder so wie früher,
einfach lebenswert.
Das Leben würde ihm nicht mehr die so schmerzlich vermissten Aussichten auf diese Weltverweigern können.
Müsse sie schön sein, sie?
Er hatte nur kurz gelacht, als sie sich ihm beinahe zwanghaft aufdrängte, diese Frage!
Was genau war eigentlich schön?
War sie eigentlich schön, seine Frau?
Er war sich beinahe sicher, dass es so gewesen sein musste.
War es der Schönheit geschuldet, wenn man sich beinahe immer wortlos verstand?
War es der Schönheit Ausdruck, wenn einen der Andere tröstet, nur weil sich herausstellt, dass mal etwas nicht so funktioniert, wie gedacht?
War es etwa Schönheit, wenn man sich den ganzen Tag darüber sicher sein kann, am Abend ein vertrautes Gesicht zu sehen, welches lächelt?
Er war sich beinahe sicher, dass sie sehr schön gewesen sein muss, obwohl sich die Konturen ihres Gesichtes längst seiner Erinnerungen entwunden hatten.
Er würde sie finden, sie!
Sie würde schön sein!
Sie würde ihm über seine Traurigkeit hinweghelfen.
Sie würde einem alten Mann zurück ins Leben helfen.
Doch hier in seinem selbst gewählten Verließ würde dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen können.
Er würde hinausgehen.
Zurück in die Welt, die sich nur noch konturenhaft auf seinen Fenstern und
auf seinem alten Kasten abzeichnen wollte.

Nicht weit von seiner Einsamkeit entfernt gab es diese Busstation, die er mit ihr immer aufsuchte, wenn es mal wieder in die Stadt ging.
Sie hatte sie geliebt, diese Ausflüge.

Als er in den Frühruhestand geschickt wurde, seines Rückens wegen, wurden diese Ausflüge immer öfter zu beiderseitigem Vergnügen.
Als er sie verloren hatte, traute er sich nicht, alleine diese Ausflüge zu machen.
Irgendetwas hielt ich davon ab. Etwas, dass er nicht zu benennen wusste.
Angst, das wusste er, könne es nicht sein.
Es waren dann meist Nachbarn, die ihn mitgenommen hatten.
Sie hatten ihn überredet.
Nun würde er sitzen, angelehnt an die Bankrücklehne.
Sie würde sich zu ihm setzen müssen, einer fehlenden weiteren Sitzgelegenheit wegen.
Er würde ein belangloses Gespräch beginnen.
Sie würde ebenso Belangloses antworten, der nahenden Abschiednahme wegen.
Doch würden diese Belanglosigkeiten ihn kurz erfreuen können.
Man würde einander vergessen, kaum aneinander erinnern.

Er sitzt, der alte Herr auf seinem Sofa
und denkt daran, wie es war.
Was ihm blieb, ist der alte
Kasten
welcher ihm die reichlich vorhandene nutzlose Zeit vertreibt.
Der nur noch die Welt auf einem dicken Glaskörper abbildet.
Diese Welt, wie sie dem alten Herrn schon beinahe
nicht mehr erinnerlich ist.
Diese verdammte Welt, die sich auch noch weiter dreht,
obwohl es dem alten Herrn schon lange
nicht mehr möglich ist, sich einen festen Halt auf ebendieser zu suchen.
Früher ja!
Da war alles so klar und übersichtlich.
Nur ein Traum?

(C) Chefschlumpf

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