Machdad durchfuhr es wie ein Blitz. Er hatte die amerikanischen Soldaten aus den Augenwinkeln beobachtet, immer bemüht, hier auf dem Highway nicht aufzufallen.
Sie hatten ihn gelockt. Sie hatten ihn in eine Falle gelockt, wie nun festzustehen schien.
Sie waren frühmorgens, kurz nach Beendigung der Nachtausgangssperre, zu ihnen gekommen und hatten ihn, Machdad gefragt, ob er mal eben so im Vorbeigehen zweitausend Dollar verdienen wollte.
Zweitausend amerikanische Dollar, eine Summe die er sich noch nicht einmal bildlich vorstellen konnte, geschweige denn vorstelle, was diese Summe für ihn und seine Familie bedeuten würde.
Machdads Mutter hatte nur noch Tränen in den Augen, seit sie erfahren hatte dass sein Vater, ein Pförtner bei der Ölschutztruppe des Distrikt-Gouverneurs, durch die amerikanischen Marines verhaftet wurde und der jetzt wahrscheinlich vor Gericht gestellt werden würde.
Die Amerikaner hatten auf dem Highway zwanzig Tanklastwagen gestoppt, die bis zum Rand mit Benzin gefüllt, auf dem Weg nach Süden waren. Die Fahrer versuchten mit gefälschten Lieferscheinen Rechtmäßigkeit vorzugaukeln.
Die Amerikaner ließen sich nicht täuschen. Sie hatten sehr schnell heraus, dass das gesamte „Schriftliche“ von A bis Z gefälscht war.
Sunnitische Clansführer hatten sich bei den Amerikanern beschwert, dass sie keinerlei Kerosinlieferungen erhalten hatten, obwohl hier in Tikrit die Raffinerie mit Volldampf arbeitete.
Auf Nachfrage erklärte der Betriebsleiter, dass keine Tankwagen befüllt wurden. Es gäbe keine Kapazitäten an Tankfahrzeugen.
Als die Wagen auf der Fahrt nach Süden gestoppt wurden, flog die ganze Aktion auf.
Die Amerikaner nahmen die gesamte Besatzung der Raffinerie, mitsamt der drei Pförtner fest, weil sie es sich nicht vorstellen konnten, dass diese die illegale Tankaktion nicht bemerkt hatten.
Achmed, Machdads Vate, hatte nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak, zunächst alle möglichen und unmöglichen Hilfsarbeiten auf dem Bau gemacht, um sich, seine Frau und die acht Kinder durchzubringen.
Dann kam ein Cousin und bot ihm die Stelle als Pförtner an und dieses schien wie ein Geschenk Allahs zu sein.
Zu den regulären Bezügen kam noch das eine oder andere Bakschisch hinzu, nach deren Gegenleistung niemand aus der Familie zu fragen wagte.
Der Gouverneur war von der neuen Regierung beauftragt worden, die Ölvorräte zu schützen und die Versorgung der Bevölkerung zu gewähren.
Nun war der Vater festgenommen und die Familie stand schlimmer da als schon zuvor.
„He hörst Du nicht? Stell den Motor ab und steig aus, die Hände auf den Kopf!“
Der Dolmetscher des riesigen, schwarzen amerikanischen Kerls, der im Tarnfleck eines Captains der Marines, wohl den Einsatz befehligte, hatte ihn angeschrieen, obwohl sich Machdad keiner Schuld bewusst war. Oberstes Gebot hier im von den christlichen Eindringlingen besetzten Irak war, sofort einer amerikanischen Militär-Patrouille Platz zu machen, allen Zeichen der Militärs sofort zu folgen und keinesfalls deren Misstrauen zu erregen. Auch nicht, wenn sein Wagen keine Bombe transportierte.
„Machdad, Du kannst für Deinen Vater eine Menge tun, wenn Du in seiner Abwesenheit für Deine Familie sorgst. Du als der älteste der Söhne, trägst eine sehr große Verantwortung auf Deinen Schultern. Du musst endlich erwachsen werden. Du musst uns einen kleinen Gefallen tun. Wir alle müssen für Allah unser Leben einsetzen. Allah wird Dich und Deine Familie reich dafür beschenken.“
Machdad kannte Mohammed von früher, als beide noch nicht durch ein unsichtbares Band getrennt waren.
Das Band der Clanszugehörigkeit! Das Band war der erste spürbare Unterschied zu den Zeiten des Staatspräsidenten Saddam Hussein, des Staatspräsidenten, den die neuen Herren erst unlängst getötet und damit zum Märtyrer gemacht hatten.
Machdad hätte sich niemals als einen politischen Menschen bezeichnet, darauf hatte sich die Erziehung durch seine Eltern immer besonders ausgewirkt. Sein Vater, obwohl streng religiös im sunnitischen Glauben, hatte keinerlei politische Ambitionen. Und diese Einstellung hatte sich auf die sechs Söhne übertragen.
„Los, mach den Kofferraum auf Du Scheißkerl, ein bisschen plötzlich. Wenn Du hier Schwierigkeiten machst, werden wir Dir zeigen wo es langgeht. Los auf die Knie!“
Der schwarze Captain hatte nur einen kurzen Satz gesagt, was den Dolmetscher aber veranlasste, eine ganze Schimpfkanonade loszulassen.
Mohammed trug westliche Kleidung und Machdad glaubte gehört zu haben, dass er an der Universität studierte und seit etwa einem Jahr zu den Schiitischen Milizen von „Muqtada al-Sadr“ gehörte, den sogenannten „Mahdi Milizen“. Diese sollten für die Mehrzahl der Bombenattentate gegen die Zivilbevölkerung, als auch gegen die amerikanischen Besatzer verantwortlich sein.
„Machdad, wir brauchen Deine Hilfe. Das Land braucht Dich. Du kannst Deinem Land, unserem Land, einen großen Dienst erweisen. Und damit Du siehst, dass wir es ehrlich meinen, bekommst Du jetzt und sofort zweitausend amerikanische Dollar. Du musst nur zeigen, dass wir uns auf Dich verlassen können. Los schlag ein, jetzt sofort.“
Machdad war mit Mohammed und dessen zwei Begleitern, die er selber zuvor noch nie gesehen hatte auf den Innenhof des kleinen Hauses gegangen, um seine Brüder, die beiden Schwestern und seine Mutter, die sofort ein sorgenvolles Gesicht machte als Mohammed auftauchte, nicht zu beunruhigen.
In diesem Haus wohnten sie nun seit einem halben Jahr, seit der Bäcker des Viertels zusammen mit seinen fünf Gesellen des Morgens, tot in ihrem Blut liegend in der Backstube aufgefunden worden war.
Der Bäcker war Schiite in einer überwiegen von Sunniten bewohnten Wohngegend und nach diesem Mord waren fast alle Schiiten fortgezogen. Da Machdads Vater sunitischen Glaubens war und die Familie in einem schiitischen Viertel wohnte, konnte durch Tausch der Wohnungen die Lage für alle entschärft werden.
Machdad war sich sehr verloren vorgekommen als er feststellte, dass zu dem Band der Familie ein weiteres, religiöses dazu gekommen war, welches die Menschen trennte, anstatt sie zu verbinden.
„Gut, der Kerl ist sauber, keine Waffen, keine Bomben. Wo willst Du hin, Du Saukerl, los spucks aus.“ Der Captain lächelte Machdad freundlich zu, wie es schien, wohingehend der vermutlich sunnitische Dolmetscher sich aufführte wie ein Schwein. Machdad glaubte ihn schon mal in der Moschee gesehen zu haben, vor Jahren.
„Wenn Du angehalten wirst, sagst Du ganz einfach, dass Du Automechaniker bist und ein repariertes Auto zu seinem Besitzer zurückbringst und einen kleinen Umweg zu Deiner Verlobten gemacht hast. Eine kleine verbotene Spritztour und die Amerikaner werden Dich als tollen Kerl ansehen und Du wirst keine Schwierigkeiten haben, glaube mir Machdad, schnell verdientes Geld.“
Mohammed war sehr bemüht um Machdad. Ob er wohl an der „Hinrichtung“ von Sunniten beteiligt war?
Warum zahlten sie ihm zweitausend Dollar für die Ablieferung eines alten Mercedes?
Warum machten sie es nicht selber? Was sollte die Familie machen, solange der Vater im Gefängnis war? Ihm war gar nicht wohl in seiner Haut.
Doch löste das Angebot von Mohammed nicht alle ihre Probleme? War er nicht, jetzt da der Vater nicht da war, für die Familie verantwortlich?
Musste er nicht ein kleines Risiko eingehen, für zweitausend Dollar?
„Ich bin für meinen Chef unterwegs und bringe diesen Wagen zu seinem Besitzer zurück und da wir ein Getriebe eingebaut hab, soll ich noch ein wenig Probe fahren, um zu sehen, ob alles gut funktioniert.“ Machdad hatte sich an den Captain gewand, aus Protest gegen den Hund von einem Dolmetscher. Der Captain lächelte nur stumm und gab dem Dolmetscher ein Zeichen. Seine Zähne blitzten in der heißen Mittagsonne.
Einige der ebenfalls wartenden Wagen waren zurück auf den Highway gefahren, nachdem sie von den Amerikanern durchsucht wurden und diese ihnen nun wieder die Fahrt freigegeben hatten.
„Pass auf Machdad, Du bringst den Mercedes zu einer Tankstelle im Norden. Da wird der Wagen repariert und Du gehst solange in ein Cafe und wenn Du ihn zurückbringst, wirst Du von unseren Männern in einem anderen Wagen überholt, worauf Du den Wagen in den Graben lenkst und wenn Du alles richtig machst, ihn richtig festfährst. Daraufhin wirst Du von unseren Leuten nach Hause gebracht und Du wirst niemals wieder von uns hören.“
Machdad konnte sich einer Gänsehaut nicht erwehren. Warum um alles in der Welt sollte er den Wagen am Straßenrand festfahren? Welches verbotene Spielchen liefe da wohl ab? Ein Attentat?
„Du wirst sehen Machdad, alles nur ein kleiner Ausflug mit einem Mercedes und Du hast nicht nur das Geld, sondern auch Deinen Spaß.“ Machdad hatte Mohammed nur irritiert angeschaut und nicht weiter zu fragen gewagt.
„O.K. mein Sohn, Du bringst jetzt den Wagen zurück und lass Dir ein gutes Trinkgeld geben.“ Der Captain hatte versucht zu ihm auf arabisch freundlich zu sein, was ihn doch ein wenig sympathisch machte.
Sein Vater hatte ihn zuerst bemerkt, den prosunnitischen Schmusekurs der Amerikaner! Er war eines Tages vor etwa vier Monaten nach Hause gekommen und hatte stolz verkündet, dass die Zeit der Unsicherheit zu Ende wäre.
Die Amerikaner hatten scheinbar ihren großen Irrtum erkannt und würden endlich den Sunniten die längst fällige Gerechtigkeit zukommen lassen.
Führende Parteigenossen von Saddams Bath-Partei wurden wieder in Führungspositionen gebracht und daher würde bald die alte Ordnung wieder hergestellt.
Es war Achmed wohl nur so verschwommen klar geworden, wie sehr die Amerikaner bemüht waren „die Herzen der Iraker zu gewinnen-“. Und der neue Oberbefehlshaber der Invasionstruppen hatte die neue Losung ausgegeben „-und wenn wir uns mit dem Satan verbünden müssen“!
Achmed und seine fünf Söhne waren am Tage der Beisetzung Saddam Husseins zur Beerdigung geeilt und hatten zugesehen, wie der gesamte, an Köpfen reiche Saddam-Clan der Trauerfeier bewohnte.
Ein „Blackhawk-Kampfhubschrauber“ der Amerikaner hatte den Sarg Saddams aus Bagdad gebracht.
Abends auf dem Heimweg, hatten die Brüder mit dem Vater diskutiert, wobei sie schließlich der gemeinsamen Meinung waren, dass Saddam in den USA einen fairen Prozess bekommen hätte, was angesichts der Zusammensetzung des Gerichtes aus Schiiten und Kurden, in Bagdad nicht wirklich zu erwarten war.
„Los fahr zu Du Hund und lass Dich hier nicht mehr sehen!“
Diese Kröte von einem Dolmetscher hatte wohl immer noch nicht gemerkt, dass er Machdad nichts Böses im Schilde führte.
Als bekannt wurde, dass der Henker dem Bruder von Saddam den Kopf abgerissen hatte, wurde der Zorn auf diese „schiitischen Hunde“ fast greifbar auf den Straßen in dieser sunnitischen Hochburg namens Tikrit.
„Hier hast Du ein Handy, Machdad. Du wirst es immer eingeschaltet lassen und nur wir werden Dich anrufen und Du wirst Dich sofort melden und auf keinen Fall irgendetwas antworten. Du wirst nur wortlos zuhören und es ist ganz wichtig, dass Du sofort die Anweisungen befolgst. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind keine Terroristen. Wir machen nur gute Geschäfte, um unserem Volk zu helfen. Unserem irakischen Volk, egal ob Sunniten oder Schiiten. Du weißt ja, ich kann nicht untätig Zuhause rumsitzen, wenn unser Volk leidet.“
Mohammed hatte sehr ernst geblickt, als er Machdad die zweitausend amerikanischen Dollar vorzählte und vor ihm auf den Küchentisch legte.
Mohammed ein Schieber? Könnte ja sein, dachte sich Machdad und steckte das Geld ein.
Er hatte immer ein ungutes Gefühl gehabt, wenn er Mohammed sah. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Schiiten, der so gar nicht gläubig schien, genau wie er selber.
Ein Stein fiel Machdad vom Herzen, als er sich dessen bewusst wurde. Er würde einer Schieberbande helfen irgendetwas Ungesetzliches zu machen. Das würde ihm nicht wirklich etwas ausmachen und die Tatsache, dass sein Vater einer illegalen Aktion wegen vor Gericht landen würde, könnte nur seinen Entschluss bei dieser Aktion ein bischen Backschisch zu machen, im Endeffekt bekräftigen.
Machdad passierte gerade die vier „Humvees“, in die die Amerikaner jetzt nach Abschluss ihrer Kontrolle einstiegen, als sein Handy klingelte.
Der Lagebericht der „Allierten im Irak“, berichtete zum Pentagon per abhörsicherer Leitung unter anderem:
„Bei einer Fahrzeugkontrolle auf dem Highway bei Tikrit wurden neun US-Soldaten und drei irakische Zivilisten durch einen Selbstmord-Attentäter getötet. Die Einheit unter Leitung eines US-Captain wurde durch eine Autobombe getötet die der Attentäter beim Passieren der Einheit zündete. Über die Identität und die Beweggründe des Attentäters, könne nur gemutmaßt werden im Augenblick. Nicht für Veröffentlichung bestimmt: Die Anzahl im Dienst getöteter Offiziere und Mannschaften im Einsatzgebiet steigt durch diesen barbarischen Akt auf dreitausenundsiebzehn.“
chefschlumpf im vierten Jahr des Irakfeldzuges der„ Koalition der Willigen“
Schilderung basiert auf einem Bericht aus der Region
(C) Chefschlumpf