bohnenzeitung.com

 Home Prosa Philosophisches

09.04.2005, © Vivienne

Der Traum

Dieser Traum.
Er kommt immer wieder.
In unterschiedlichen Variationen.
Ich habe da eine Raubkatze.
Sie sitzt in einem Käfig.
Der oben offen ist.
Der Käfig ist sehr klein.
Ich füttere die Katze.
Und streichle sie immer wieder.
Ein wunderschönes Tier.
Das laut schnurrt.
Mit glänzenden Augen.
In denen verborgenes Feuer schlummert…
Ich liebe dieses Tier.

Aber bisweilen habe ich Angst.
Angst, dass das Tier den Käfig verlässt.
Ein Sprung genügt.
Und es ist frei.
Ungebunden.
Ich weiß nicht, was es dann tut.
Ich fürchte mich.
Und beginne den Käfig abzudecken.
Mit Tüchern zuerst.
Aber die Katze ist stark.
Vielleicht könnte sie die Tücher einfach beiseite schieben.
Also suche ich fieberhaft.

Womit kann ich dem Tier Einhalt gebieten?

Dann wache ich auf.
Und denke nach.
Wer dieses Tier ist, dem ich da Einhalt gebieten möchte.
Oder was…
Sind es vielleicht meine eigenen Gefühle?
Mein versteckten Leidenschaften?
Angst vor der Liebe?
Mich zu öffnen?
Nach Enttäuschungen?
Halte ich meine Sehnsüchte in mir gefangen?
In einem viel zu kleinen Käfig?
Aus Furcht.
Diese tiefen Gefühle nicht mehr bändigen zu können.
Vielleicht auch vor den Abgründen in mir selber.
Versteckten Facetten.
Denen ich mich nicht gerne stelle.
Gefühle und Liebe.
Die ich zu kontrollieren versuche.
Obwohl es aussichtslos ist.
Irgendwann wird sich dieses Tier in mir Ausgang verschaffen.
Ich kann es nicht halten…
Nicht mehr lange.
Niemand kann das.

Kein Mensch kann ohne Liebe leben.
Ohne sie und Leidenschaft ist das Leben leer.
Sinnlos.
Bedauernswert ist nicht der, der seine Liebe verloren hat.
Bedauernswert ist der, der sich ihr aus Angst verweigerte.
Besser ich lasse die Katze selber frei.
Und öffne ihren viel zu kleinen Käfig.
Als sie durchbricht ihn.
Eines Tages.
Ungestüm.
Und reißt mich mit in einen Strudel der Gefühle.
Den ich dann wirklich nicht mehr kontrollieren kann…

Jeder von uns trägt so ein Raubtier in sich.
Jeder von uns hegt und pflegt es anders.
Und so mancher geht sehr sorglos mit ihm um.
Aber wir sollten alle gut sein zu ihm.
Und ihm viel Freiheit schenken.
Wenn es ihm gut geht.
Dann geht es uns auch gut.

Vivienne
 

 Redakteure stellen sich vor: Vivienne       
 Alle Beiträge von Vivienne

Schreibe einen Kommentar