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04.05.2005, © Vivienne
Die Ballade von der Erkenntnis über die eigenen Gefühle
Engel 1717 betrachtet sich etwas unsicher in einem Auslagenfenster
Er trug Jeans und ein knalliges T-Shirt.
Sein Haar war merkwürdig kurz.
Sein Boss, Gott, hatte ihm immer seltsame Aufträge erteilt.
Seltsam bis schwierig.
Ganz wohl fühlte er sich nicht in der Gestalt eines jungen, poppigen Mannes.
Aber dann blickte er auf die Uhr neben dem Geschäft.
Er musste sich beeilen.
Bald traf er seine nächste Klientin.
So sagte man doch
?
Eiligen Schrittes ging er die Straße hinunter.
Und betrat einen Friseursalon.
Irgendwie fühlte er sich etwas deplaziert darin.
Als Engel musste er sich normalerweise nie das Haar schneiden lassen.
Es war einfach immer gleich lang
Er nahm Platz im Salon.
Und begann in einer Zeitschrift zu blättern.
Wenige Minuten später stürmte eine junge Frau herein.
Etwas atemlos ging sie zu einer Friseurin.
Habt ihr heute noch einen Termin?
Mein Haar sieht schrecklich aus.
Und mein Freund und ich gehen ins Theater
Die Friseurin nickte.
Dauert aber eine Weile.
Wenn du Zeit hast
Die junge Frau setze sich neben 1717.
Sie wirkte hektisch auf ihn.
Und nicht ganz glücklich.
Er sollte sich sehr irren, wenn sie nicht sein Auftrag war.
So lehnte er sich zurück.
Die junge Frau würde sich bald mitteilen.
Das spürte er.
Er kannte die Menschen.
Sie begann ihn zu mustern.
Dich habe ich aber noch nicht hier gesehen
1717 nickte.
Das stimmt.
Ich bin erst vor kurzem hier hergezogen.
Die junge Frau lächelte ihn an.
So was habe ich mir fast gedacht.
In die kleine Pause hinein begann die Friseurin zu fönen.
Das Mädchen begann lauter zu sprechen.
Ich muss heute noch ins Theater.
Mein Freund hat mich mit Karten überrascht
Sie seufzte.
1717 wurde hellhörig.
Gehst du nicht gern ins Theater?
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf.
Zog eine Grimasse.
Nein überhaupt nicht.
Ich mag das steife, förmliche Getue nicht.
Ich bin gern wie ich bin
1717 zog die Stirn in Falten.
Dann hat sich wohl dein Freund selber einen Gefallen getan.
Und nicht dir
Die junge Frau öffnete den Mund leicht.
So habe ich es noch nie gesehen.
Aber du hast wohl recht
Er weiß, dass ich das Theater hasse
1717 spürte die negativen Gefühle des Mädchens deutlich.
Und er wusste, dass sie ihm bald noch mehr erzählen würde.
Ja.
Du hast wohl Recht
Das Mädchen fuhr nach einer kleinen Pause fort.
Was mir Freude macht, ist Unsinn.
Unreifes Zeug.
So sagt er.
Und meine Freunde sind ihm allesamt suspekt.
Das habe ich schon öfter gemerkt.
Die junge Frau wirkte immer nachdenklicher.
Ich bin auch Mitglied in einem Verein.
Wir begleiten den örtlichen Fußballclub bei jedem Spiel.
Aber selbst das stört ihn.
Mit einem Mal sah sie sehr traurig aus.
Ich muss aufhören damit.
Wenn wir heiraten.
Das hat er schon ein paar Mal gesagt
1717 richtet sich langsam auf.
Willst du das?
Die junge Frau schüttelte energisch den Kopf.
Nein.
Das will ich nicht.
Ich treffe alle meine Freunde dort.
Und wir haben immer viel Spaß.
Ihre Augen leuchteten.
1717 sah das Mädchen fest an.
Dann solltest du ihm das sagen.
Wie kann er dir etwas verbieten, dass du so liebst?
Wenn er dich liebt?
Aufrichtig?
Und um deiner selbst Willen
?
Sag ihm auch, dass du das Theater hasst.
Bald.
Bevor es zu spät ist.
Die junge Frau dachte nach.
Er wird sich dann sicher ärgern.
Und wir werden streiten.
Wie schön öfter
Der Engel nahm die Hand der jungen Frau.
Liebst du ihn überhaupt?
Ich habe nicht den Eindruck.
Nicht wirklich.
Oder liebst du nicht einfach das, was er sein könnte?
Wenn er nicht so stur wäre?
Und so unflexibel?
Und wenn ihm wichtig wäre?
Was dir wichtig ist?
Oder er es zumindest akzeptieren würde?
Das Mädchen schwieg betroffen.
Einige Minuten verstrichen.
Die Friseurin stellte den Fön ab.
Der Kunde zahlte und ging.
Die Friseurin trat zu den beiden.
Wandte sich an die junge Frau.
Du bist dran.
Kommst du bitte zum Tisch?
Einen Moment schien es, als hätte das Mädchen sie nicht gehört.
Oder richtig verstanden.
Dann stand es auf.
Nein.
Danke.
Ich habe es mir überlegt.
Ich gehe heute sicher nicht ins Theater
Vivienne
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