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16.05.2005, © Vivienne

Ich hab sie doch geliebt!

Karli stand mitten auf der Straße.
Er starrte Helga nach.
Helga.
Mit dem langen lockigen Haar.
Und diesen schönen hellblauen Augen.
Die meisten Leute waren nicht nett zu ihm.
Sie beschimpften ihn.
Der Spinner!
Der Tagedieb!
Das tat ihm weh.
Er war nicht so klug wie andere.
Schon in der Schule hatte er das zu hören bekommen.
Aber Helga war immer nett zu ihm gewesen.
Freundlich.
Hallo Karli.
Wie geht’s dir?
Das freute ihn immer.
Auch ihre Brüste gefielen ihm.
Sie waren so groß.
Manchmal träumte er davon, dass er sie angreifen durfte.
Dann wurde ihm jedes Mal ganz schwindlig.
Und seine Mama schimpfte ihn.
Du Sau!
Kannst dich nicht beherrschen.
Und ich darf sauber machen…

Karli starrte missmutig in das Schaufenster.
In der Auslage des Fotographen lauter Fotos.
Viele Hochzeitsbilder.
Vor einer Woche noch hatte er geträumt sich selber hier zu sehen.
Abgebildet.
Mit Helga.
Aber Helga hatte er seither erst einmal gesehen.
Mit einem jungen Mann.
Er sah sehr gut aus.
Und die beiden hatten gelacht.
Und dieser Kerl hatte sie geküsst.
Seine Helga.
Und sie hatte sehr glücklich dabei ausgesehen.
Verdammter Mistkerl!
Karli schimpfte.
Er warf kleine Kiesel auf die Straße.
Die er irgendwo fand.
Dieser Mann  hatte ihm Helga weggenommen.
Wie kam er dazu?
Und warum ließ sich Helga auf so einen ein?
Bedeutete er ihr auf einmal gar nichts mehr?

Karli.
Wo bist schon wieder?
Du Nichtsnutz!
Karlis Mutter schimpfte laut.
Karli schreckte zusammen.
Er legte den Spaten wieder weg.
Nein.
Das durfte seine Mama nicht sehen.
Auf keinen Fall.
Er wischte sich das Gesicht ab.
Und lief ihr entgegen.
Seine Mutter musterte ihn prüfend.
Wo warst denn?
Hast was ausgefressen?
Karli schüttelte den Kopf.
Nein.
Hab nur so geschaut.
Die schmutzigen Hände verbarg er in den Hosentaschen.
Misstrauisch glitt der Blick seiner Mutter an ihm herunter.
Na dann komm essen.
Und wehe dir ich komm dir was drauf…

Karli stand vorsichtig auf.
Seine Mutter war eingeschlafen.
Endlich.
Sie schnarchte.
Unüberhörbar.
Karli schlich sich aus dem Haus.
Holte sich wieder den Spaten.
Und grub weiter.
Das Kreuz tat ihm schon weh.
Aber die Grube musste noch tiefer werden.
Sehr viel tiefer.
Er hielt inne.
Blickte auf die Straße.
Da vorn war Helga.
Und wieder ging sie mit diesem Kerl durch den Ort.
Aber sie gehörte doch ihm!
Ihm ganz allein.
Und er würde Helga diesem Kerl nicht überlassen.
Ganz sicher nicht.
Wütend stampfte Karli auf.

Helga folgte Karli etwas unwillig.
Was willst du mir zeigen?
Und warum hast du es so eilig?
Kann das nicht bis Morgen warten?
Karli zog Helga bei der Hand.
Komm.
Es wird dir gefallen.
Er zitterte vor Nervosität.
Helga blieb stehen.
Du, es ist schon dunkel.
Kannst du mir das nicht ein anderes Mal zeigen?
Karli brummte unwillig.
Nun komm schon.
Helga drehte sich um.
Riss sich los.
Mich interessiert das nicht.
Karli erschrak.
Was sollte er jetzt tun?
Da lag dieser große Stein.
Er hob ihn auf.
Helga!
Helga drehte sich um.

Bist du schon wieder schmutzig!
Karlis Mutter begann wieder zu keppeln.
Wo warst du schon wieder?
Hinten beim Teich?
Dort hast du gar nichts verloren!
Und was sind das für rote Flecken auf deinem Hemd?
Hast du etwa gerauft?
Karli schüttelte den Kopf.
Ich hab mir wehgetan.
Ist aber nicht viel.
Er setzte sich in eine Ecke.
Und dachte an Helga.
Die er in die Grube geschleift hatte.
Sie wollte einfach nicht zu bluten aufhören.
Es war richtig eklig.
Aber jetzt hatte er sie eingegraben.
Eigentlich wollte er sich ja dazulegen.
Und auch umbringen.
Aber dann hatte ihn der Mut verlassen.
Neben Helga liegen.
Die so blutete.
Jetzt war sie tot.
Aber der andere würde sie jetzt auch nicht haben.
Wenigstens was.

Karlis Mutter schrie auf.
Was wollen Sie denn mitten in der Nacht?
Was fällt Ihnen ein?
Wir sind anständige Leut’.
Eine dunkle Männerstimme machte ihm Angst.
Wo ist denn Ihr Sohn?
Der Karli?
So heißt er doch?
Wir möchten ihn gern sprechen!
Die Tür zu seinem Schlafzimmer ging auf.
Karli erschrak.
Woher konnte die Polizei schon davon wissen?
Sein Puls raste.
Er ballte die Fäuste unter der Bettdecke.
Und begann zu schreien.
Immer lauter.
Ich habe sie doch geliebt.
Ich wollt’ ihr ja nicht wehtun.
Aber sie hat mich nicht mehr angesehen.
Wegen dem blöden Kerl…
Ich wollt’ das nicht!
Ich wollt’ das nicht!

Vivienne

 

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