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14.08.2005, © Vivienne

Die Wahrheit
Tatjanas innerer Monolog

Ich weiß, dass er lügt.
Schon die ganze Zeit.
Immer wieder mal.
Beiläufig.
Er macht mir etwas vor.
Wenn es ihm nötig erscheint.
Ich spüre es.
Und er merkt nicht.
Seine Halbwahrheiten.
Seine Lügen.
Ich hab sie längst durchschaut.
Er behält nicht alles im Kopf.
Was er mir so erzählt.
Aber ich schon.
Es tut weh.
Wieder eine Lüge.
Eine Lüge mehr.
Ich meine…
Was reg’ ich mich auf?
Er hat mir nie seine Liebe versprochen.
Er wurde immer still.
Wenn ich das Thema auf den Tisch brachte.
Er wollte nicht reden.
Über die Liebe.
Oder uns zwei.

Ob er eine Freundin hat?
Der Gedanke peinigt mich.
Auch wenn ich es nicht zeige.
Oft genug hat er es beteuert.
Dass er alleine lebt.
Nicht nur mir.
Auch anderen Leuten.
Ich war halt zufällig immer dabei.
Wer einmal lügt…
Könnte ich es ändern?
Wenn es so wäre?
Nein.
Die Ungewissheit brennt auf meiner Seele.
Aber geht es mich überhaupt etwas an?
Lüg ich nicht selber auch?
Da einmal?
Und dort einmal?
Bin ich deshalb eine große Lügnerin?
Würde ich mich nicht wehren gegen den Vorwurf?
Mit Recht?

Es geht mich nichts an!
Nichts was er tut oder lässt.
Er ist sein eigener Herr.
Und mir zu nichts verpflichtet.
Warum er dann lügen könnte…?
Wenn es ohnehin keine Rolle spielt?
Eine berechtigte Frage.
Warum müsste er lügen?
Um mich nicht zu verlieren?
Oder das, was ich für ihn bin?
Er weiß genau, dass ich mich fernhalten würde.
Von ihm.
Gäbe es seine Frau in seinem Leben.
Und deshalb könnte es sein, dass er darüber schweigt.
Könnte wohl gemerkt.
Nichts weiß ich mit Sicherheit.
Die Gedanken dröhnen in meinem Kopf.

Ich sehne mich nach Gewissheit.
Nach der Wahrheit.
Nicht nach seiner Unverbindlichkeit.
Die mir auf den Geist geht.
Schon sehr lange.
Aber er wird darüber nicht reden.
Darüber nicht.
Und so manches andere.
Ich weiß es.
Müßig zu sinnieren.
Und ich werde ausbrechen.
Irgendwann.
Ein paar Mal habe ich es ohnehin versucht.
Ich konnte dann aber das Band nicht lösen.
Nicht endgültig.
Nach Konfusion rauften wir uns wieder zusammen.
Was er dabei fühlte, weiß ich nicht.
Ich dringe nicht durch seine Fassade.
Und mein Misstrauen steigt.
Lügt er mich wieder an?
Erzählt er mir wieder irgendwas?
Weil es bequem ist?

Warum ist es so schwer?
Ihn so zu begreifen wie er ist?
Und ihn so zu akzeptieren?
Im Grunde ist es auch ein Machtkampf.
Zwischen ihm und mir.
Ich möchte ihm meine Denkweise aufzwingen.
Es geht auch nicht so sehr um die Wahrheit.
Sondern auch um meinen Besitzanspruch an ihn.
Den ich habe.
Auch wenn er von Liebe nichts wissen will.
Nicht von meiner Liebe.
Daran habe ich keinen Zweifel.
Dabei wünsche ich mir klare Verhältnisse.
Das ist mir am liebsten.
Zu wissen, woran ich bin.
Aber er denkt anders.
Ganz anders…
Zum Teufel mit meinem Unmut!
Soll er doch sein wie er ist!
Soll er ruhig!
Es kostet Kraft ihn ändern zu wollen.
Es kostet Kraft an ihm festzuhalten.
Und zu hoffen.
Er will sich nicht ändern.
Nicht ändern für mich.
Muss ich mich auf so jemanden fixieren?
Auf mich wartet doch jemand mit offenen Armen.
Wenn ich nur will…!

Das ist die Wahrheit.

Vivienne

 

 

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