bohnenzeitung.com

 Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne

16.06.2005, © Vivienne

Und niemand soll es wissen!

Menschen sind unterschiedlich. Manche tragen das Herz auf der Zunge – so wie ich etwa – andere lassen niemand so recht an sich heran und vermeiden es, dass ihnen jemand in die Karten blickt. Vor allem, wenn es um wunde Punkte geht, wenn die eigenen Verletzbarkeit offenbar wird. Dann lassen diese Leute häufig die Rollläden herunter und man steht an, wie an einer Mauer. Man muss dieses Verhalten wohl akzeptieren, obgleich es oft besser wäre zu den eigenen Schwächen zu stehen – sie machen nicht „schwach“ wie man annehmen sollte, sondern ganz im Gegenteil: es gehört Mut dazu, zuzugeben, was nicht jeder vermag…

Meine Mutter lag nun schon eine Woche im Spital. Wenigstens hatte sie ihre Operation gut überstanden und die Genesung schritt gut voran. Je älter die eigenen Eltern werden, umso schwieriger verlaufen derartige Krankenhausaufenthalte für einen selber. Wenn man sich ehrlich mit solchen Situationen auseinandersetzt, weiß man genau, dass irgendwann in der Zukunft Krankenhausaufenthalte folgen werden, die nicht mehr ganz so glimpflich verlaufen. Niemand wird jünger… Um so erleichteter war ich im Moment, ich hatte eine angenehme Stunde mit meiner Mutter in der Kantine verbracht. Wir hatten Karten gespielt und ich hatte beim Schnapsen gleich drei Bummerl kassiert. Besondere Mühe hatte ich mir aber auch nicht gegeben…

Ich stieg schließlich im Erdgeschoß aus dem Lift und wandte mich Richtung Ausgang. Beinahe wäre ich dabei mit einem älteren Herrn zusammengestoßen, der etwas teilnahmslos im Foyer stand und mir den Rücken zuwandte. Ich murmelte eine Entschuldigung, die mir allerdings auf den Lippen erstarb, als sich der Herr umdrehte. „Ja, Herr Grundner! So eine Überraschung! Wie geht es Ihnen denn?“ Herr Grundner starrte mich fast ertappt an, wie mir schien, dann schüttelte er meine Hand und begrüßte mich auch. „Ja, die Vivienne! Was machst denn du da?“ Herr Grundner war der Seniorchef der Konditorei in der Nachbargemeinde und außerdem ein Schulkollege meines Vaters. Ich erzählte ihm von meiner Mutter und der Operation. Mittlerweile war ich neugierig geworden, was denn den alten Spezl meines Vaters ins Spital verschlagen hatte.

Aber Herr Grundner wirkte mit einem Mal sehr reserviert, er konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. Das Krankenhaus, das einen sehr guten Ruf für seine Augenabteilung besaß, würde sich um seinen grauen Star kümmern, erklärte er mir. Seit Mittwoch wäre er schon im Spital und sogar mir fiel auf, dass er dann das Gespräch in andere Bahnen zu lenken versuchte. „Was machst du denn jetzt beruflich?“ Ich ließ mich aber trotzdem einwickeln und natürlich kam das Thema unweigerlich auch auf meine bevorstehende Hochzeit. Und schließlich startete ich selber ein Ablenkungsmanöver, denn das Gesülze von „allen guten Wünschen für den neuen Lebensabschnitt“ mochte ich nicht mehr hören! Es nervte einfach…

Ich machte mich also auf den Weg heim, und als ich im Laufe der folgenden Tage einmal mit meiner Mutter telefonierte, kam das Gespräch unweigerlich auf Grundner. Die war, weil sie über kein Sitzfleisch verfügte, schon wieder recht aktiv im Krankenhaus unterwegs und machte sich Hoffnungen, bald wieder heimzugehen. Und als ich ihr vom Schulkollegen unseres Vaters erzählte, stand für sie gleich fest: „Denn besuche ich heute noch. Es ist furchtbar fad im Spital. Ein wenig Tratschen wird mir gut tun! Sagtest du nicht, er liegt auf der Augenabteilung?“ Warum auch nicht? dachte ich mir. Wer weiß, vielleicht  würde meine Mutter den alten Herren sogar zum Schnapsen überreden, grinste ich, ganz versunken in der Vorstellung.

Eine Stunde später war ich mit dem Staubsaugen beschäftigt, als das Telefon läutete. Meine Mutter war dran, und sie beschwerte sich etwas beleidigt. „Der Grundner liegt ja gar nicht auf der Augenabteilung! Ich war grad dort, er ist völlig unbekannt dort. Bist du sicher, dass du dich nicht geirrt hast?“ Ich war mir sicher, und die Sache kam mir merkwürdig vor. Vor allem, als ich mich an Grundners plötzliche Reserviertheit erinnerte und dass er sofort von seinem Krankenhausaufenthalt abgelenkt hatte. Am folgenden Tag machte ich mich nach der Arbeit wieder auf den Weg ins Richtung Spital. Und ehrlich gesagt: nicht nur um meine Mutter zu besuchen. Beim Eingang wandte ich mich zum Portier. „Wo liegt denn der Herr Karl Grundner?“ „Abteilung 3b, 4. Stock!“ bekam ich prompt zur Antwort. Ich suchte die große Tafel mit der Auflistung der Abteilungen im Spital und wurde schnell fündig. „Abteilung 3b, Onkologie…“

Ich blickte betroffen zu Boden. Jetzt verstand ich genau, warum Grundner so offensichtlich gelogen hatte. Er war an Krebs erkrankt und hatte Angst darüber zu reden. Noch viel mehr fürchtete er wohl zuzugeben, dass er vielleicht nicht mehr lange leben würde. Niemand sollte ihn in seiner tiefen Verletzbarkeit sehen… Nachdenklich ging ich wieder zum Lift. Nein, ich würde sicher nichts darüber erwähnen. Ich akzeptierte Grundners Wunsch, auch wenn ich ihn nicht wirklich nachvollziehen konnte. Das war bestimmt nicht die Art und Weise, wie ich mit einem Problem umgehen würde, welcher Art auch immer. Aber warum ihn bloßstellen? Warum ihm zusätzlichen Kummer bereiten? Es war das Mindeste, dieser Bitte, auch wenn sie auf Umwegen geäußert worden war, zu entsprechen…

Vivienne

 

 Redakteure stellen sich vor: Vivienne       
 Alle Beiträge von Vivienne

Schreibe einen Kommentar