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22.08.2005, © Vivienne

Tragische Gleichheit der Fälle

Ich weiß nicht, wie es Ihnen in diesem Fall geht. Ich spreche heute in meiner Geschichte nämlich unsere Eltern an, unsere Väter und Mütter, die es uns nicht immer einfach machen. Bleiben wir doch in ihren Augen oft immer Kinder und werden bevormundet, und so mancher von uns hat ein paar handfeste Komplexe ihretwegen am Hals und dafür gibt es so viele Gründe und Auslöser wie Menschen selbst. Dennoch bleiben sie unsere Eltern, und am Verhalten ihnen gegenüber ist es am einfachsten zu erkennen, wie der Mensch sich weiter entwickelt, reift, nämlich nicht im Zorn oder völligen Verdammen sondern in der stillen Weisheit.

Auch ich musste mich im Laufe meiner Erwachsenwerdung, die ja mit der Pubertät noch nicht wirklich abgeschlossen war, mit meinen Eltern zusammenraufen. Heute passt unser Verhältnis weitestgehend und das liegt mit daran, dass auch meine Eltern ihr früheres Verhalten hinterfragt haben. Und wenn jemandem wie mir in den letzten Jahren bewusst wird, wie sich die Krankenhausaufenthalte der Eltern häufen, wird man auch erkennen, wie kostbar die Momente mit ihnen wirklich sind… Trotz allem. – Es mag gut zwölf Jahre her sein, als ich mich zum ersten Mal mit solchen Überlegungen beschäftigen musste. Meine Mutter lag wegen einer Kropfoperation im Spital, allerdings schon über zwei Wochen: ihre schleichende Herzerkrankung und ihre schwachen Nieren hatten für den Eingriff eine umfassende Einstellung auf neue, stärkere Medikamente unumgänglich gemacht.

Die Operation war schließlich auch unkompliziert verlaufen und mittlerweile, zwei Tage danach, war meine Mutter schon wieder mit Kreuzworträtselauflösen beschäftigt und ärgerte sich darüber, dass ein alkoholisierter Autolenker in der Siedlung gegen eine Gartenmauer gefahren war, wie ich ihr erzählte. „Dass es so was gibt!“ giftete sie sich. „Kann so einer nicht mit dem Taxi von der Zechtour heimfahren?“ Ja, Mama war schon wieder ganz die Alte, und wenn ich nicht zum Zug eilen hätte müssen, wäre ich wohl noch eine Weile bei ihr sitzen geblieben. Es war ohnedies schon stressig genug, dass ich mich bemühte, möglichst jeden Tag nach der Arbeit noch für eine Weile zu ihr zu schauen, und deshalb wollte ich es vermeiden, dass es unnötig spät wurde.

Station Taubenmarkt Linz. Weit und breit keine Straßenbahn in Sicht. Ich blickte auf die Uhr. Wenn ich jetzt nicht zu Fuß lief, würde ich den Zug versäumen, das war sicher. Ich lief also los, laut schnaufend, und als ich an der Blumau über das Bahnhofsgelände abkürzen wollte, hupte jemand hinter mir. Ich blickte mich um. Ein alter Bekannter steckte seinen Kopf aus der Autotür und winkte mir. So ein Glück! dachte ich mir. Das ist ja Herbert Danninger, ein Jungunternehmer aus unserer Siedlung. Sein Bruder Robert und gleichzeitig sein Teilhaber im Familienunternehmen „Danninger Autoteile“, war ein Schulkollege von mir gewesen. Ich setzte mich, legte den Gurt an und atmete tief durch. „Ich weiß nicht, ob ich den Zug noch erwischt hätte! Danke!“ Ich lächelte ihn erleichtert an, während Herbert den Wagen schon in die Wienerstraße lenkte.

Eine oberflächliche Unterhaltung kam in Gang. Meine Schwester Bea meinte schon damals, dass ich das Zeug hätte, einen ganzen Tisch zu unterhalten. Im Gegensatz zu ihr… Herbert Danninger war wie sein Bruder keiner von der übermäßig geselligen Sorte in jenem Sinn, dass er viel und gern geredet hätte. Seine Diktion war eher sparsam, aber wenn er etwas sagte, dann hatte es auch Gewicht. Heute kam er mir besonders schweigsam vor, aber als ich ihm von meinem vorjährigen Städtetripp nach Frankfurt erzählte, bei dem ich eine Freundin besuch hatte, musste er lachen. „Den ganzen Koffer haben sie dir bei der Heimfahrt gefilzt? Alles raus, samt der Unterwäsche? Vivienne, die große Drogendealerin!“ Herbert kannte mich so gut, dass er genau wusste, dass mir meistens nach einem Achterl Wein schon schwindlig wurde, weil ich nichts vertrug. Gerade deshalb amüsierten ihn die übereifrigen Zollfahnder.

Aber unvermittelt schwieg er wieder, wir bogen an der B3 in die Siedlung ab. Ein Stück weiter vorne  ließ er mich aus dem Auto aussteigen, denn hier wohnte er nicht nur mit seinem Bruder sondern da befand sich auch der Familienbetrieb. Ich nahm meine Handtasche und bedankte mich. „Du hast mich gerettet!“ schenkte ich ihm einen sehr dankbaren Blick und löste den Sicherheitsgurt. „Sag,..“, drang unerwartet noch einmal Herberts Stimme an mein Ohr. „…eure Mutter ist doch im Spital. Wie geht’s ihr denn?“ Keine Ahnung, wie Herbert davon erfahren hatte, aber ich freute mich über sein Interesse. „Naja, gar nicht schlecht, laut dem Herrn Primar kann sie Ende der Woche wahrscheinlich schon heimgehen. Wir sind echt froh…“ Ich wusste nicht, wie ich den Blick meines Gegenübers deuten sollte. Es schien fast, als hätte ihm ein Schlag jede freundliche Regung aus dem Gesicht gewischt. Plötzlich hatte ich es eilig, den Wagen zu verlassen.

Und ich fragte mich, ob ich irgendetwas Falsches gesagt hatte. Dann verdrängte ich die Szene im Auto wieder. Sie kam mir erst wieder in Erinnerung, als ich am Wochenende relativ spät aufstand und zwischen Kaffee und Butterbrot mein Bruder auf mich zu kam. „Die Frau Danninger ist gestorben, die Seniorchefin von der Firma „Danninger Autoteile“. Kennst eh! Stell dir das vor! Ich wusste gar nicht, dass sie so schwer krank ist!“ Ich hatte es auch nicht gewusst, aber im Laufe des Tages wurde mir bewusst, warum Herbert Danninger plötzlich so eisig reagiert hatte, als ich ihm von der baldigen Genesung meiner Mutter berichtet hatte. Wahrscheinlich sogar unbewusst, aber konnte man ihm verdenken, wie sehr ihm das angesichts des kritischen Zustandes seiner eigenen Mutter zugesetzt hatte?

Vivienne

 

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