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20.09.2005, © Vivienne

Im zweiten Anlauf 

Liebe ist kein Gulasch. Eine Beziehung, die schon einmal gescheiterte ist, hat keine Chance auf längeres Bestehen. Eine sehr weit verbreitete Binsenweisheit, die durchaus ihr Quäntchen an Wahrheit enthält. Es ist mittlerweile schon einige Jahre her, da wurde ich, was diese Ansicht betrifft, allerdings eines Besseren belehrt. Und dieser Fall betraf eine Bekannte von mir, die ich aus einem VHS-Kurs kannte und die ich nach Kursende bisweilen ganz gern wieder traf. Wegen ihrer Rezepte für köstliche Brotaufstriche und Saucen etwa, aber auch, weil ich herrlich mit ihr lachen und plaudern konnte und das tat mir in jener Zeit manchmal recht gut. Alice war eine fröhliche, lebensbejahende Frau, die mich mit ihrer guten Laune stets anstecken konnte. Und das obwohl sie selber auch nicht immer auf der Sonnenseite zu stehen kam.

Aber nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, sich lauthals zu ärgern oder ihren Unmut an jemand anderem auszulassen. Dazu war sie ein viel zu feiner Mensch, und bisweilen bedauerte ich es, dass wir uns nicht öfter sahen. Ich hätte manches von ihr lernen können… Alice hatte natürlich Familie, ihr Mann arbeitete bei einem Wachdienst, die beiden Kinder gingen noch zur Schule und waren ihr ganzer Stolz. „Du hast es gut getroffen!“ versicherte ich ihr mehr als einmal, und es mag wohl reiner Zufall gewesen oder einer Laune entsprungen sein, dass sie mich diesmal schelmisch anlächelte und meinte: „Weißt du, Vivi, seit Erwin und ich geschieden sind, funktioniert unsere Beziehung viel besser!“ Ich starrte sie  erstaunt an. „Ihr seid geschieden?“ Es muss fast einige Minuten gedauert haben, bis ich wieder klar denken konnte. „Das glaube ich nicht!“

Alice nickte aber. „Doch. Erwin und ich sind geschieden. Seit fast zehn Jahren.“ Immer noch wollte mir nicht in den Kopf, wie das sein konnte und durfte. Schließlich resignierte ich. Ich nahm einen tüchtigen Schluck von meinem Kaffee und blickte Alice fragend an. Alice lächelte wieder und breitete die Geschichte ihrer Ehe vor mir aus. „Im Grunde ist das ganz einfach, Vivi. Erwin und ich, wir haben jung geheiratet. Viel zu jung. Dass wir zusammengehören, habe ich, haben wir immer gewusst. Aber wir waren halt nicht so wirklich reif für diese Ehe. Der Alltag mit den beiden Buben, die uns ständig auf Trab hielten, zehrte an unseren Nerven. Und an der Liebe. Wir stritten fast nur mehr. Und schließlich zog Erwin aus. Er hatte eine Freundin. Und auch ich blieb nicht lang allein.“

Da konnte ich nur Bauklötze staunen. Nach all dem, was ich bisher von dieser Ehe, will sagen Beziehung, mitbekommen hatte, schien es mir fast nicht vorstellbar, dass es mit der Liebe von Alice und Erwin einmal so schlecht bestellt sein hätte können. Aber Alice sah mir nicht so aus, als würde sie einen schlechten Scherz machen. Schließlich hielt ich das Schweigen nicht mehr aus: „Und? Wie seid ihr wieder zusammengekommen?“ Alice hob die Hände um mich zu beschwichtigen. „Immer mit der Ruhe, Vivi. So schlimm war diese Situation gar nicht. Ganz im Gegenteil. Unabhängig voneinander haben wir sehr bald begriffen, das wir ohne einander nicht sein konnten, auf keinen Fall, nicht wegen der Kinder, nicht wegen des Hauses, nein, wegen uns beiden selber. Wir brauchten uns einfach.“

Ihre Augen leuchteten, als sie mir das sagte. Und ich fühlte mich fast ergriffen, wegen der Ehrlichkeit, die sie dabei ausstrahlte. Alice spannte mich auch gar nicht lange auf die Folter und fuhr fort. „Weißt du, eines Abends läutete das Telefon. Ich war mit meinem damaligen Freund schon eine Weile nicht mehr wirklich glücklich. Und Erwin war am Apparat. Wir haben lange geredet, richtig geredet, das erste Mal seit geraumer Zeit. Wir haben uns wieder getroffen, ja, und bald regelmäßig gesehen. Und irgendwann zog Erwin wieder ein. Es war so, als wäre er nie weg gewesen. Unseren Zwischenzeitpartnern haben wir keine Träne nachgeweint. Ziemlich genau ein Jahr war vergangen, seit unsere Trennung amtlich geworden war, nicht viel Zeit im Grunde, aber wir waren zwei ganz andere Menschen geworden. Wir waren reifer geworden und wir hatten begriffen, im Gegensatz zum Beginn unserer Beziehung, worauf wir uns eingelassen hatten. Wir wussten, was wir wollten und wir wollten das gemeinsam tun.“

Ich schwieg nachdenklich. Damals war für mich kaum vorstellbar gewesen, dass ich auch einmal eine funktionierende Beziehung unter ehrlichen Voraussetzungen führen können würde. Ich war schwer beeindruckt und auch heute, wenn ich mich an Alice erinnere, komme ich zu keinem anderen Schluss: Man mag sagen was man will, aber auch eine aufgewärmte Beziehung kann durchaus gut verlaufen, oder besser gesagt, erfolgreicher als der Anlauf zuvor. Auch wenn es nicht die Norm ist… Aber deswegen allein sollte man sich einem zweiten Versuch nicht von vornherein verweigern. Die Chance lebt immer!

Für Doris! J

Vivienne

 

 

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