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01.08.2005, © Vivienne

Der Preis für die tolle Figur

Betroffen sah ich Martina an. „Krebs? Ich dachte deine Mutter hat sich nach der Operation so gut erholt?“ Martina schüttelte den Kopf. Tränenspuren zeichneten sich auf ihren Wangen ab. „Ja, zunächst schon. Ganze zwei Jahre war sie ohne Befund. Aber dann ist die Krankheit zurückgekommen. Die Leber ist befallen, und noch einige Organe. Man kann ihr nur mehr etwas gegen die Schmerzen geben…“ Martinas Mutter kannte ich schon einige Jahre. Ich hatte mich vor längerer Zeit einmal für das rote Kreuz in Linz engagiert, und dabei auch Rosa Schwindner getroffen. Sie war eine gemütliche, sehr freundliche Frau in den Fünfzigern, die immer gut gelaunt zu sein schien.

Lediglich unter ihrem Gewicht litt sie sehr, wie sie mir bisweilen anvertraute. „Wenn’s nicht immer so gut schmecken würde!“ gestand sie mir einmal, als ich zufällig in der Dienststelle vorbeischaute. „Aber zum Kaffee kann ich mir nichts Besseres als eine Sachertorte mit Schlag vorstellen. Und Abnehmen gelingt mir einfach nicht. Was ich auch versuche, spätestens nach vierzehn Tagen gebe ich es wieder auf. Ich ess einfach zu gern!“ Diese Problematik war mir nicht fremd, und ich litt ja selber unter meinen Rundungen, gegen die es scheinbar kein Gegenmittel gab. Kein wirklich Effizientes zumindest… Nach einigen Monaten musste ich das Ehrenamt beim Roten Kreuz wieder zurücklegen, ich war so unter Zeitdruck, weil ich mich schweren Herzens beruflich mehr engagieren musste. Ja, musste. Was mich aber nicht hinderte, Rosa bisweilen zu besuchen…

Nachdenklich fuhr ich unsere Wohnung. Albert saß vor dem Computer und nahm mich scheinbar gar nicht wirklich wahr. Ich setzte Kaffee auf, mein Allheilmittel, und blickte in der Küche aus dem Fenster. Martinas Bericht über ihre Mutter fiel mir wieder ein. Vor fast drei Jahren schon war mir bei einem Besuch aufgefallen, dass Rosa Gewicht verloren hatte. Mindestens zwanzig Kilo, wie sie mir lächelnd gestand. Aber sie sah nicht gut aus, sie war völlig blass und außerdem waren ihre Wangen eingefallen. Aber da mir Rosa versichert hatte, sie würde schon fast ein Jahr viel weniger essen, konnte ich mir vorstellen, dass sie auf diese Weise einiges abgenommen hatte. Bis ich kurze Zeit später zufällig erfuhr, dass sie im AKH lag: Rosa hatte Magenkrebs.

Und die angebliche Diät hatte sich durch die Krankheit ergeben: Rosa hatte nichts mehr behalten können, fast alles, was sie aß, erbrach sie wieder. Daher auch der enorme Gewichtsverlust und daher auch das kurzfristige Gerücht beim Roten Kreuz, sie wäre magersüchtig geworden. Rosas Freude über Kleidergröße 38 hielt nur kurz an. An einem Sonntag erbrach sie das Mittagessen, im Nahrungsbrei war Blut und da hatte ihr Mann nicht mehr gezögert, den Notarzt zu verständigen. Rosa musste ins Spital, wo die Diagnose bald gestellt werden konnte. Ich besuchte sie kurz nach der Operation und es ging ihr gar nicht so schlecht. „Ich habe in der Nacht schon von einen Leberkäsesemmerl geträumt. Das werde ich mir als erstes schmecken lassen, wenn ich aus dem Spital komme.“

Der Kaffee begann herrlich zu duften. Ich schenkte mir eine Tasse ein, fast schwarz und mit viel Zucker. Rosas Familie war guter Dinge gewesen. Nicht einmal eine Chemotherapie wurde angeordnet, da der Tumor noch örtlich begrenzt schien. Einen Monat darauf war Rosa schon voll im Einsatz. Die Rot-Kreuz-Uniform schlotterte zwar an ihr, aber Rosa war nicht gewillt sich unterkriegen zu lassen. Ich war froh gewesen, dass sie wieder so gut beisammen war. Zwar verzehrte sie kleinere Mahlzeiten mehrfach auf den Tag verteilt, aber sonst aß sie wieder recht normal, wie sie mir versicherte, als ich sie eines Abends einmal in der Stadt traf. Ich war zwar stutzig gewesen, dass sie nicht zugenommen hatte oder kaum merklich, aber die Gewichtszunahme war wohl durch die kleineren Mahlzeiten leichter regulierbar. So redete ich mir zumindest ein, denn irgendwo im Hinterkopf lauerte ein Artikel, den ich einmal in einer medizinischen Zeitschrift gelesen hatte. Magenkrebs wäre, laut Aussage eines bekannten Krebsarztes, de facto nicht heilbar…

Ich blickte auf. Ali stand bei der Küchentür und lächelte mich an. „Was ist los, Vivi?“ Ich zuckte hilflos die Achseln. Er kannte Rosa nicht einmal, bestenfalls aus der einen oder anderen Geschichte von mir. Für den Fall, dass er sich erinnern konnte. Schließlich begann ich doch zu erzählen, was mir Rosas Tochter, Martina, anvertraut hatte. Ali nahm mich in den Arm. „Du kaust an der Geschichte, ja? Weil bei dieser Rosa der Krebs wiedergekommen ist und keine Hoffnung mehr besteht? Aber du kannst ihr nun mal nicht helfen und niemand ist schuldig daran!“ Das stimmte schon, aber es nahm mich trotzdem mit, bis Ali fort fuhr. „Glaubst du denn nicht, dass sie nicht ohnedies geahnt hat, dass sie keine Chance gegen den Krebs hat? Immerhin hatte sie noch zwei schöne Jahre, in denen es ihr gut ging. Das ist doch sehr schön, oder? Stell dir vor, sie hätte zwei Jahre nur leiden müssen!“

Ali hatte nicht Unrecht. Die beiden Jahre waren ein Geschenk für Rosa und ihre Familie gewesen und dass sie nun im Sterben lag, änderte nichts an der Tatsache, dass sie trotz allem dem Tod eine schöne Spanne Zeit abgetrotzt hatte. Zeit, in der sie das Leben noch einmal genießen hatte können, gemeinsam mit dem Mann und den Kindern. Und den Kontakt zu den Spezln beim Roten Kreuz nicht verloren hatte. Wie viele Menschen sterben einsam und ohne Leute, die sich um sie sorgen? Rosa hingegen stand mitten im Leben, wenn sie gehen musste und viele Menschen würden sie vermissen… Auch ich.

Vivienne

 

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