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29.10.2005, © Vivienne

Schulangst 

Psychologen und Eltern schlagen Alarm: Ein Fünftel aller Schüler hat Angst in die Schule zu gehen, und das aus den verschiedensten Gründen: Angst vor schlechten Noten, Angst vor  Lehrern, der Leistungsdruck – durchaus auch durch die Eltern, Terror und Mobbing in der Schule bis hin zur Gewalt. Ein Schüler hat’s nicht leicht heutzutage und während Lehrer vermehrt in die Frühpension drängen, weil sie mit diesem Stress nicht zurechtkommen, werden die Kinder mit dem vermeintlich so tollen Schülerleben auch nicht fertig. Angst ist eine sehr reelle Sache, die sich durchaus in körperlichen Symptomen zeigen kann. Ich weiß das aus eigener leidvoller Erfahrung, vor allem aus meiner Mittelschulzeit.

In der Pflichtschule konnte ich aber selber schon beobachten, wie sich so mancher Lehrer aufbaute, in dem er andere Schüler niedermachte. Mein eigener Klassenvorstand hatte eine gerade zu diabolische Freude dran, die ihm anvertrauten Schüler zu demütigen und in der Klasse mit unangenehmen Dingen, die er in Erfahrung gebracht hatte, zu konfrontieren – vor aller Ohren. Ich denke, jeder Lehrer, der sich nicht Kraft seiner/ihrer Persönlichkeit gegen aufmüpfige Schüler zur Wehr setzen kann sondern mit Noten oder Druck drohen muss, hat seinen/ihren Beruf verfehlt und gar nicht begriffen, welchen immens verantwortungsvollen Beruf, er/sie da ergriffen hat. Ich glaube die Schulangst ist immer auch ein Ergebnis der allgemeinen Situation, mal abgesehen von der familiären, aber das ist ein anderes Kapitel…

Wenn sich ein Lehrer nicht durchsetzen kann, nicht erklären kann und hilflos gegenüber Störenfrieden agiert, schafft er ein disharmonisches Klima in der Klasse. Mehr als das: in so einer Klasse eskaliert die Situation sehr viel rascher. Einige der Schüler machen dann nur mehr, was sie wollen, da sie instinktiv schnell ausgelotet haben, wie weit sie bei welchem Lehrer gehen können. Schließlich leiden auch so manche Lehrer selber schon unter Schulangst, weil sie mit den Schülern und der Situation zusehends nicht fertig werden. Müßig zu sagen: Lehrer ist keine einfache Profession sondern eine Berufung. Nicht der Traumjob mit viel Urlaub und freien Tagen sondern ein beinharter Arbeitsplatz mit enormer Verantwortung. Die Maturanten, die mit „Brachialgewalt“ in die Pädak oder ins Lehramtsstudium drängen, haben in sehr vielen Fällen nicht die geringste Ahnung, was auf sie zukommt und wie der Alltag wirklich aussieht.

Ich selber litt in meiner Schulzeit im Gymnasium viel unter Schulangst. Angst, die mich von einem aufgeweckten Hauptschüler in einen nervösen, unsicheren Gymnasiasten verwandelte. Dabei hatte ich mit vielen Umstellungen zu kämpfen: von Land auf Stadt, von einer vertrauten Umgebung unter lauter fremde Schüler, unter denen ich mich erst zu behaupten lernen musste. Mein Grundwissen von der Hauptschule war für die AHS viel zu dürftig, ich kämpfte lange Zeit heftig um’s „schulische Überleben“. Der selbst auferlegte Druck, die Gleichgültigkeit mancher Lehrer und die Erwartungen der Eltern stürzten mich oft in ein großes Dilemma: Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und immer stärkere Prüfungsangst setzen mir zu. Dabei hatte ich Glück: ich wiederholte eine Klasse und erholte mich selbst: mit anderen Lehrern und  weniger Angst. Und ich schaffte schließlich doch die Matura, was ich lange Zeit nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Aber um welchen Preis? Ich habe Jahre gebraucht, um mich von dieser Zeit und speziell den ersten Jahren zu erholen. Erst Anfang der 90er Jahre(!) begann ich mich langsam in die Frau zu verwandeln, die sie in meinen Beiträgen kennen gelernt haben: eine konsequente, selbstbewusste Schreiberin mit spitzer Zunge, die zu ihrer Meinung steht und auch unangenehme Wahrheiten niederschreibt. Ich bin durch eine harte Schule gegangen, im wahrsten Sinn des Wortes, und um wie viel härter muss sie für so manchen Schüler sein, der heute zur Schule geht und nicht nur seelischen Nöten wie ich, sondern auch körperlicher Gewalt und Mobbing ausgesetzt ist? Glauben Sie mir, liebe Leser, schon in den 80er Jahren war die angeblich schönste Zeit im Leben kein Honiglecken, aber ich möchte um keinen Preis heute Schüler sein. Und ich kann nur jedem Kind engagierte Eltern wünschen, die sich für ihn oder sie auch einsetzen und nicht nur die Daumenschraube anlegen: Mit einem Dreier brauchst du erst gar nicht heimkommen….!

Vivienne

 

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