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28.09.2005, © Vivienne
Die Tragik der Angela Merkel
Vorab: parteipolitisch engagiere ich mich schon länger für keine Partei mehr, weder im In- noch im Ausland. Was zwar nicht ausschließt, das ich nach wie vor ein sehr politischer Mensch bin, aber nicht notwendigerweise einschließt, dass ich nach meinem Bruch mit Links plötzlich zu den Konservativen gewechselt wäre. Das trifft mit Sicherheit nicht zu, und wenn ich heute die Person der Angela Merkel aus meiner Sichtweise durchleuchte, dann aufgrund einer gewissen Tragik, die diese zweifellos hoch intelligente Frau umgibt. Nach dem Wahlergebnis vom 18. September noch viel mehr, möchte ich meinen, da Angela Merkel schließlich als Kanzlerkandidatin der klar favorisierten Union ins Rennen gegangen war.
Selbst Alice Schwarzer, die zweifellos als letzte dem schwarzen Lager zuzurechnen ist, hat sich klar für eine Kanzlerin Merkel geäußert und darin auch die Chance und die Symbolwirkung gesehen, die sie damit für die Frauenbewegung an sich inne gehabt hätte. Unabhängig davon nämlich, von welcher politischer Seite Merkel kommt. Einmal abgesehen davon, dass wir mit Sicherheit noch absehbare Zeit mit keiner Kanzlerkandidatin aus dem roten Spektrum rechnen dürfen, weil im Sozialismus meiner Meinung nach versteckt aber doch bemerkbar sehr viel männlicher Chauvinismus steckt: durch diese Einstellung bzw. Erkenntnis hat die Paradefeministin Schwarzer viele Angriffe hinnehmen müssen, und das ist wirklich bemerkenswert.
Aber zurück zu Angela Merkel: So fest wie nach ihrer Wiederbestätigung nach der Wahl ist die Pastorentochter, die im ehemaligen Osten aufgewachsen ist, nie im Sattel gesessen, obwohl gerade auch in dieser Vergangenheit eine große Chance für das de facto noch immer zwei geteilte Deutschland zu finden ist. Zwei geteilt, da im Grunde nur die Grenzen zwischen beiden deutschen Nationen gelöscht worden sind, aber sicher nicht die eigentliche Trennung nach Wirtschaft, nach Vorurteilen oder Ablehnung. Aber die großen, konservativen Herren in der Union sind nun mal alle Katholiken, und was ein echter Katholik ist, sieht der erstens am liebsten einen anderen Katholiken an der Spitze der Partei und des Landes und zweitens natürlich einen Mann.
Bewundernswert, dass es Angela Merkel trotzdem so weit in der Union gebracht hat, obwohl sie in der Mensa immer allein saß, wie ihr eine SPD-Politikerin völlig unsachlich nach der Wahlschlappe vorwarf. Diesen Vorstoß besagter Dame kann man gleich welche politischer Couleur nur als letztklassig und völlig unangebracht zurückweisen. Zweifellos wirkt Angela Merkel etwas kalt und nicht besonders herzlich, das habe ich selber schon im Verlauf des Wahlkampfs über sie geschrieben. Man kann sie auch nicht unbedingt als eine Führungspersönlichkeit bezeichnen, die die Massen zu begeistern weiß und um sich schart. Im Gegensatz zu ihrem Rivalen Gerd Schröder, der die Menschen zwar einerseits polarisiert, aber andererseits auch in helle Begeisterung versetzen kann.
All diese Dinge neben dem eigenen schlechten Stand in der Partei haben sich bei der Wahl als Fallstricke erwiesen. Letztlich haben die Deutschen lieber die FDP gewählt als eine Stimme mit Signalwirkung für die Union abzugeben. Ich finde es immer wieder seltsam, dass es offenbar in einem Land wie der Türkei einfacher ist, einen weiblichen Staatschef zu bekommen (den es de facto schon gegeben hat) als in einer westlichen Demokratie wie Deutschland. Ich fürchte ehrlich gesagt, dass Angela Merkel nicht Bundeskanzlerin werden wird. Ich fürchte, das Land ist noch nicht reif zu einer derartigen Entwicklung, und nicht reif dazu, die Mauern zu den ehemaligen Ostländern abzubauen. Schade, Angela Merkel hätte in die Position einer starken Symbolfigur dafür wachsen können. Aber ob nun Schröder sich doch durchsetzt oder von der Union ein Kompromisskanzler in einer großen Koalition aus dem Hut gezaubert wird: Hier wurde eine große Chance ausgelassen
Vivienne
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