Ausgesorgt?

Wochenende und eine Schifffahrt auf dem Hallstädter See! Herz, was begehrst du mehr? Immer wieder kamen romantische Erinnerung in mir und Albert auf, wenn wir so wie heute auf oder an diesem See gemeinsamen Erinnerungen nachhingen… Waren wir hier nicht vor ewig langer Zeit zusammengekommen? Aber heute tuschelten Ali und ich nur vergnügt, mein Mann deutete immer wieder auf die aufgetakelte Blondine mit ihrem fast schon verbrannten Teint und dem knapp sitzenden Top auf den nicht ganz fleischlosen Rippen. „Uschi Buder!“ Ali musste sich wegdrehen, um nicht laut loszulachen. „Nicht zu fassen, Uschi Buder, die Tochter unserer Nachbarn. Von deren Qualitäten in der Horizontale hatten sich schon viele Männer überzeugen dürfen… Ich hab dir doch von ihr erzählt, Vivi, nicht wahr? Sie hat ja auf recht raffinierte Art und Weise Karriere gemacht und ausgesorgt, das hat sie wohl auch…“ Mein Mann wurde mit einem Mal still. „Sehr glücklich sieht sie nicht aus…“

Natürlich erinnerte ich mich. Uschi Buder, ein paar Jahre älter als mein Mann, hatte sie zunächst beim Greißler im Ort eine Lehre begonnen. Sehr glücklich war ihr Chef nie mit ihr gewesen, denn Uschi hatte immer schon gewusst, dass sie zu Höherem geboren war und sich dementsprechend verhalten. Der Wechsel in das Großkaufhaus im nahen Einkaufszentrum war nur eine Frage der Zeit gewesen – und der nötigen Bekanntschaften. Und die machte Uschi schnell, denn sie konnte ihren damals noch recht ranken Körper und die blonde Mähne perfekt in Szene setzen. Und sie wusste dank eines im wahrsten Sinne des Wortes sechsten Sinnes schnell zu unterscheiden, welcher Mann hilfreich für sie war und welcher nicht. Harm- wie geldlose Kollegen behandelte sie stets mit völliger Verachtung während für so manchen ihrer Vorgesetzen bestimmt nicht nur ein süßes Lächeln aufgesetzt wurde… Uschi Buder war äußerst raffiniert, ein Luder, wie man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, aber irgendwie war das blonde Gift auch gefürchtet – wegen der einflussreichen Liebhaber im Großkaufhaus in der noch einflussreicheren Position…

Aber auch das genügt Uschi nicht. Sie begann weiter Kontakte zu knüpfen und schließlich erzählte sie recht offen, dass sie nebenberuflich in einem Begleitservice jobbte. Natürlich nur abends, nach der Arbeit, und oft zog sie sich schon in der letzten halben Stunde im Großkaufhaus um, damit sie schnell startklar für die nächtlichen Herausforderungen war… Uschi betonte zwar immer wieder, dass sie die jeweiligen Herrn nur zu Geschäftsessen begleitete aber bei ihren unleugbaren Talenten auf dem Gebiet zweifelte kaum jemand an weiteren amourösen Begegnungen… Schließlich war Uschi schwanger, es sprach sich rasend schnell herum. Ein älterer Rechtsanwalt, dessen renommierte Kanzlei im Zusammenhang mit den bekanntesten und aufsehenerregensten Kriminalfällen des Landes immer wieder genannt worden war, hatte die Blondine zu seiner Geliebten gemacht. Hochoffiziell quasi, sogar seine Frau hatte davon gewusst. Aber auch damit gab sich die gute Uschi nicht zufrieden…

Ich hörte plötzlich Alis Stimme wieder, als er mir vor einiger Zeit einmal von der Geschichte berichtet hatte. „…sie war dreißig und offenbar war es für sie an der Zeit, aus dem Berufsleben aus und ins Dolce Vita einzusteigen. Und ihr etwas riskanter Plan ging auch auf, der Rechtsanwalt ließ sich scheiden und heiratete die schwangere Uschi. Die gemeinsame Tochter ist dann ein paar Monate später geboren worden…“ Armes Kind! Es wuchs dem Vernehmen nach mit Babysittern und bezahlten „Tanten“ auf und die Mutter selber kümmerte sich kaum um das Kind. Schließlich hatte Uschi auch andere Sorgen, etwa ihre Figur, die bei der Schwangerschaft ziemlich aus den Fugen geraten war und das ließ die einst so verführerische Uschi schier verzweifeln. Auch die Zuneigung und die Aufmerksamkeit ihres Mannes gingen ihr nach und nach verloren. Ihm war wohl auch bewusst geworden, dass ihn seine Frau beinhart ausgetrickst hatte. Und er hat sich danach wohl mit Damen getröstet, die ganz sicher die Pille nahmen…

Mein Blick kehrte zu der Blondinen zurück, die sich mit einer Freundin unterhielt und dabei gezielt Eindruck schinden wollte – beim männlichen Geschlecht. Uschi heischte geradezu nach Aufmerksamkeit, und als sie ihre Sonnenbrillen abnahm, konnte ich einen Blick in ihre traurigen Augen werfen… Die Frau war todunglücklich, man musste kein Psychologe sein, um das zu erkennen. Und oberflächlich betrachtet war das schwer zu verstehen, denn die Frau hatte doch alles, wovon Otto Normalverbaucher träumte: ein luxoriöses Leben, eine beneidenswert noble Garderobe und der Schmuck an Ohren und am Hals wirkte sehr teuer und sehr echt. Als Gattin eines berühmten Anwaltes genoss sie zudem hohes Ansehen. Uschi hatte erreicht, was immer ihr Ziel gewesen war: sie hatte ausgesorgt, über finanzielle Dinge brauchte sie sich ganz sicher nicht mehr den Kopf zu zerbrechen… Aber gerade ihr Leben zeigte, dass es im Leben nicht nur darum geht. Beileibe nicht…

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne/Gedankensplitter

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