Am Beispiel Günther Grass

Literaturnobelpreisträger Günther Grass, mittlerweile auch schon 78 Jahre alt, hat kürzlich seine Autobiographie auf den Markt gebracht. Dabei lüftete der Autor der berühmten, verfilmten „Blechtrommel“ ein lange gehütetes Geheimnis. Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges war Grass als Sechzehnjähriger kurzfristig Mitglied der Waffen-SS gewesen. Grass, linker Vordenker und Kritiker der NS-Ideologie, räumte damit auch ein, dass er selber als unreifer Teenager mit den Nazis sympathisiert hatte. Als Otto-Normalverbraucher würde man so ein „Geständnis“ vermutlich mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen und sich höchstens überlegen, warum auch ein an sich untadeliger Literat einmal geistige Irrwege gegangen ist…

Die herbe Kritik, die diese späte Offenbarung losgetreten hat, war wohl wirklich nicht unbedingt zu erwarten. Obwohl Günther Grass unzweifelhaft der Nazi-Ideologie längst abgeschworen hat und aus seiner nunmehr linken politischen Gesinnung nie ein Geheimnis machte, gab es nicht wenige, die meinten, Grass hätte mit der Verheimlichung dieser wenigen Wochen im Waffenrock der SS gezielt versucht, sich den Nobelpreis zu sichern. Auch wurden Überlegungen angestellt, ob nicht das ganze literarische Schaffen dadurch in Frage gestellt werden würde…

Man könnte sich als Beobachter köstlich amüsieren über derartig ungereimte Äußerungen, die jeder sachlichen Kritik entbehren. Jeder kritische Mensch halte sich das einmal vor Augen: ein Bursch, ein unreifes Kind im Grunde noch, findet Gefallen am Gebaren der Nazis und „darf“ quasi für kurze Zeit zur Waffen-SS. Das Ende des Krieges verhindert eine größere Karriere und damit einen schlimmeren Fehltritt, Grass wird geläutert. Politisch schlägt er eine völlig andere Richtung an, wird zum Kritiker der Rechten und mausert sich zum großen Literaten, der die Gesellschaft und ihre Verlogenheit aufs Korn nimmt. Wer zum Teufel maßt sich da an, diesen Mann zu kritisieren, für etwas, das er im Alter von sechzehn Jahren und mit kindlichem Gemüt dachte?

Würde man Grass ähnlich verteufeln, wenn er in dem Alter kurze Zeit mit Drogen zu tun gehabt hätte oder in einer Jugendgang Diebstähle begangen hätte? Ich vermute nicht, man kann diese Beispiele aber durchaus mit der Dummheit von vor über sechzig Jahren (!) vergleichen, die Grass nun mehr zum Vorwurf gemacht wurde und wird. Warum der Literaturnobelpreisträger solange über diese wenigen Wochen in seinem Leben schwieg, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Der Gedanke, dass er seine Gesinnungsgenossen gut kennt und deren eiliges Vorpreschen in Sachen harter Verurteilung durchaus voraus gesehen hat, liegt nahe.

Andererseits glaube ich nicht, dass ich für Günther Grass großartig eine Lanze brechen muss. Nicht nur dass der weltbekannte Schriftsteller für sich selber steht und durchaus in der Lage ist, sich selber zu verteidigen. Ich gehe ehrlich gesagt sogar davon aus, dass Grass sein Schweigen nur deswegen brach, weil er seine Autobiographie ein wenig „puschen“ wollte. Richtig gelesen, eben weil Grass seine Ideologie-Freunde gut einschätzen kann, war deren übertrieben kritisches Verhalten vorhersehbar und damit der große Wirbel in den Medien. Keine überlegte PR-Kampagne hätte die Verkaufszahlen für die Lebenserinnerungen des deutschen Nobelpreisträgers in ähnliche Höhen hieven können…

Günther Grass ist für mich ein untadeliger Denker aber natürlich wie alle großen Persönlichkeiten durchaus widersprüchlich in sich. Einem Menschen im vorgerückten Alter, der sich nie etwas zuschulde kommen hat lassen sondern im Gegenteil mit der Kritik am Faschismus nie zurückgehalten hat, an seinem Verhalten als Teenager zu messen, kann man in jedem Fall zumindest als fragwürdig zurückweisen. Geradeso, als würde man einem Kleinkind vorwerfen, dass es noch nicht lesen kann. Grass ist offensichtlich in der Lage gewesen, aus der jugendlich-dummen Schwärmerei für die Nationalsozialisten zu lernen – andere haben das nicht getan und trotzdem ihre Schäfchen ins Trockene gebracht… Wie auch immer, vielleicht liegt solcher Kritik auch einfach das krause Denken zugrunde, ein Literatutpreisträger deutscher Zunge dürfe sich nur aus den Reihen politisch einwandfreier Linker rekrutieren…

© Vivienne

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