Erinnerungen – Aus dem Leben

Ich vergesse nichts. Gar nichts. Oder besser gesagt – es gibt wenig, das mir nicht in Erinnerung bleibt. Gutes wie Schlechtes. Ein phänomenables Gedächtnis, zweifellos. Das kam mir wieder in den Sinn, als ein neuer Kollege in die Firma schneite. Ich kannte ihn von früher, und was ich von damals noch wusste, von ihm und über ihn, das versetzte ihn durchaus in Erstaunen… Dabei hatte das weniger mit ihm zu tun. Als ich ihn wieder sah, da ging eine Schublade auf in dem Kasten mit den Menschen meines Lebens. Und darin befand sich alles, was ich von ihm gespeichert hatte. Und das war nicht wenig….

Damit verblüffe ich die Leute immer wieder. So auch meinen lieben Menschen, den ich nun auch schon manches Jahr kenne… Erinnerungen an die Anfangszeit, da gibt es immer wieder Geschichten, die er schon beinahe vergessen oder völlig verschwitzt hatte… Typisch Mann halt! Macht nichts, dafür hat er eben mich!

Vor einer Ewigkeit, da habe ich eine Schulkollegin mit eben diesen Erinnerungen fast fertig gemacht. Ich hatte sie in Linz auf der Landstraße getroffen. Gut zehn Jahre nach der Matura. Sie berichtete mir von einer verflossenen Beziehung – ein unmöglicher Kerl! Mit dem Brustton der Überzeugung. Sie hatte ihn rausgeworfen, obwohl sie schwanger von ihm war. Ihre Nüstern zitterten, ich sehe es noch vor mir. Die Tochter, die sei nun ein paar Wochen alt. Aber – sie kämen auch alleine zurecht! Ziemlich genau vier Jahre später traf ich sie wieder, einmal mehr im Sommer im Herzen von Linz. Wie geht es der Tochter? meine erste Frage. Die muss doch jetzt drei oder vier sein… Die Frau erstarrte. Momente kein Wort. Dann. Eisig. Sie ist vier… es geht ihr gut. Ihren Blick werde ich nicht vergessen. Und ihren Seitenhieb, ob ich etwa sonst nichts zum Erinnern hätte… Ja, was wusste sie schon von mir! Was soll ich sagen. Letzten Herbst sah ich sie wieder. In der Straßenbahn. Einen Moment überlegte ich, ob ich sie ansprechen sollte… Wie geht es deiner Tochter? Schon maturiert? Wahrscheinlich hätte ich sie in den Wahnsinn getrieben damit. Die Vorstellung, wie sie Schaum vor den Mund bekommt und zu schreien anfängt… Dann seufzte ich. Und ließ es bleiben…

Natürlich merke ich mir nicht nur solche Sachen. Sondern vor allem negative Dinge – sie bleiben lebendig in mir wie üppig sprießendes Unkraut. Sehr lange. Und wer mir übel mitgespielt hat, den streiche ich aus meinem Leben. Kein Wort, kein Blick – falls wir uns noch einmal über den Weg laufen sollten. Die Liste, nicht übermäßig lang, aber sie enthält doch manchen Namen. Männlein wie Weiblein. Und die ganze Geschichte warum oder wieso… bis ins kleinste Detail. Ein Dilemma von mir. Die Leute halten mich für harmlos. Sehr harmlos. Sie unterschätzen mich. Und sie meinen, irgendwann könnte man wieder tun, als ob nichts gewesen wäre – nach einer üblen Schweinerei. Gar nichts… Nur – ohne schwerwiegenden Grund, da kommt keiner auf meine Liste. Niemand…

Eine frühere Kollegin von mir, die habe ich gerade zur Verzweiflung gebracht. Damit. Während sie ein wenig plauschen wollte, über die alten Zeiten, unseren ehemals gemeinsamen Chef, griff ich in die Kiste. Der Ex-Chef, der steht nämlich auch auf meiner Liste. Und mir fiel alles ein, was er mir getan hatte, womit er mich geärgert, erniedrigt und auch gedemütigt hatte… Kein guter Mensch. Ich muss sie sehr vergrault haben, ich weiß. Aber ihre Erinnerungen – sie sind nicht meine. Sie war mit dem früheren Chef gut ausgekommen. Ich hatte genug von ihm – und verärgerte sie mit meinen negativen Reminiszenzen. Ich wollte halt nichts gut reden, was für mich nicht gut gewesen war. Schon lange nicht mehr… Ich weiß, was Sie sagen wollen. Da muss man sich lösen, zum eigenen Wohlbefinden…blablabla, aber das funktioniert bei mir nicht. Nicht, dass ich nicht genügend gelesen hätte, über das Verzeihen. Über das Vergeben. Aber ich lege es dann weg. So ein Topfen! denke ich mir dann. Und dass es mir nicht weiterhilft, wenn ich so tue, als würde ich darüber hinwegsehen – und es dann doch nicht kann. Was nicht in mir drin ist, ganz von selbst, das kann man nicht herbeireden…

Ich schließe die Schublade. Sperre sie ab. Und irgendwann, da verblasst die Geschichte. Wie eine alte Fotographie. Wut und Schmerz, sie lassen nach. Aber die Ablehnung bleibt, da bin ich konsequent. Zu mir braucht keiner mehr kommen, der auf meiner Black List steht…
Einmal, da machte ich eine Ausnahme. Einmal nur. Ich wollte ihn nie mehr sehen, nie mehr! Und ich hielt durch, über ein Jahr… Etwas Schlimmes passierte, und dann öffnete ich mein Herz wieder, etwas zweifelnd… Aber, ich bereute es nicht, letztlich. Kein Präsedenzfall. Das bestimmt nicht. Aber ein besonderes Band, das uns schon immer verbunden hatte – und meine Prinzipien überwand…

Vivienne

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