Das Boudoir der Steuerprüferin

Albert, mein Mann, rümpfte die Nase. Er blickte der mit Brachialgewalt verführerisch sein wollenden Blondine in ihren Stilettos nach und verzog sein Gesicht wegen ihrer auffälligen Duftwolke sichtlich angewidert. Ich grinste meinen Mann an. „Ja, manche meinen es zu gut. Damen wie Herren. Da war doch einmal der Kerl von der Wohnungsgenossenschaft, der stank wie ein Iltis. Erinnerst du dich noch? Aber halten wir uns nicht auf mit der überparfümierten Dame…“ Eigentlich hatten wir es nämlich eilig. Wir waren in den Supermarkt gefahren, weil wir heute Mittag bei Alis Eltern grillen wollten. Alis Eltern hatten vorhin noch den Bedarf an einigen saftigen Koteletts angemeldet, deshalb hatten wir uns diesen Umweg in den Supermarkt überhaupt erst angetan. Aber nun stand mein Mann da, grinste breit über das Gesicht und schien in Erinnerungen versunken, so, als hätten wir alle Zeit der Welt. „Was ist?“ fragte ich Ali nun etwas irritiert. Er riss sich los von den Gedanken und legte den Arm um mich. „Da muss ich dir was erzählen, ist schon eine halbe Ewigkeit her. Ich glaube, die Dame hatte tatsächlich dieselbe penetrante Duftnote…“

Minuten später saßen wir im Auto und Ali reversierte aus der Parklücke heraus. Die Koteletts und manches andere waren im Kofferraum in der Kühltasche verstaut und Ali fuhr schon auf die Stadtautobahn auf. „Die Geschichte, die mir jetzt eingefallen ist, liegt schon lange zurück, genau genommen fiel sie in die Zeit, in der wir zwei keinen Kontakt hatten, weil du deinem Kurzzeitfreund in dessen windige Firma folgen musstest…“ Mein Mann warf mir einen leicht spöttischen Seitenblick zu. „Na ja, irgendwann in der Zeit hatte unser Boss, Rossecker, dann die Steuerprüfung am Hals. Alle Belege, Abrechnungen, etc. der letzten Jahre mussten genau geprüft werden. Rossecker tobte, aber er musste mit dem Finanzamt ausmachen, dass die Dame selber ins Haus kam und ein eigenes Büro für die Zeit der Prüfung erhielt.“ Ali kicherte. „Seine damalige Assistentin, noch vor der Prager, rotierte, weil sie sich zu den anderen Schreibkräften setzen musste. Aber ihr Büro war für die Steuerprüferin vorgesehen. Lass mich nachdenken, ich glaube, sie hieß Frau Mag. Schweiger, ja, ich glaube, das stimmt.“

Wir hielten an einer Ampel. Ich konnte reges Verkehrsaufkommen in den Straßen beobachten, ehe Ali wieder auf das Gaspedal trat. „Glaub mir, Vivi…“ fuhr Ali fort. „…die Dame kam nicht einfach herein, sie erschien: in einer gewaltigen, penetranten Parfümwolke, vergleichbar mit der jener Person, die wir vor dem Supermarkt getroffen haben. Frau Schweiger war nicht mehr ganz jung, kleidete sich aber in auffälligen, tief ausgeschnittenen und kurzen Kleidern in nicht unbedingt dezenten Mustern und war stark geschminkt. Mit all dem hätte man ja leben können, aber die Duftintensität weckte fast Assotiationen an eine Puffmutter: etwas „überwutzelt“ – du weißt, was ich meine – aber in dem Glauben verhaftet, sie wäre noch eine attraktive Frau, die es mit allen Jungen aufnehmen könne…“ Ich dachte kurz nach, warum so viele Frauen sich getrieben fühlten, auf ewig eine femme fatale sein zu müssen – und dabei die Grenzen des guten Geschmacks oft schmerzhaft überschritten. War es das Wert?

Ali fuhr in der Zwischenzeit auf die Bundesstraße auf. „Kurz und gut, innerhalb einer Stunde stank, will sagen: roch es in der ganzen Firma nach Frau Schweiger. Sogar vor dem Lager machten die Duftschwaden nicht halt und das morgendliche Erscheinen der Steuerprüferin kündigte sich immer dadurch an, dass sich die Geruchsintensität fast unerhört verstärkte. Rossecker war in den Wochen ihrer Anwesenheit vor lauter Grant fast nicht auszuhalten. Die Leute in der Firma gingen ihm aus dem Weg, wo möglich, und zu bedauern waren die armen Teufel, die Rossecker in der Zeit eine unangenehme Sache zu übermitteln hatten. Sie sahen allesamt danach wie begossene Pudel aus und genossen unser Mitgefühl. Schließlich konnte jeder von uns der nächste sein… Frau Steuerprüfer nahm ihren Job übrigens sehr ernst und Rossecker kam sehr schnell von der Idee ab, die Dame mit Warengeschenken zu besänftigen – wie er das sonst oft machte, in den unterschiedlichsten Situationen. Wer Frau Schweiger etwas bringen musste, schilderte immer dieselben Eindrücke: es war so, als würde man ein orientalisches Boudoir betreten, so intensiv lag das starke Parfüm in der Luft. Wie die Dame dann aber meistens da saß, mit ihrer üppigen, kaum verhüllten Oberweite, gewann man eher den Eindruck, sie würde eigentlich einen potentiellen Liebhaber erwarten und nicht Belege aus dem Jahre Schnee…“

„Wir sind fast da!“ Ali nahm meinen Zwischenruf gar nicht wahr. „..nach einer halben Ewigkeit war sie dann endlich wieder weg. Rossecker regte sich gar nicht mehr auf, obwohl ihm die Dame auch noch Nachzahlungen ankündigen musste. Als sie die Firma verlassen hatte, ging er mit ein paar Leuten in sein Büro und dort wurde dem Vernehmen nach gefeiert. Mit ein paar Flaschen Sekt und einem besonderen Schnaps, den Rossecker von einem Urlaub aus Frankreich mitgenommen hatte. Ganz was feines, habe ich mir sagen lassen, ganz was Feines… Aber weißt du was, Vivi? Ihr Parfüm hing auch noch Tage später im ganzen Haus und besonders im Büro von Rosseckers damaliger Chefsekretärin. Die soll sich übrigens beklagt haben, dass der Raumduft fast nicht zu ertragen wäre. Rossecker soll aber durch den Abgang der Steuerberaterin so milde gestimmt gewesen sein, dass er ihr sogar ein paar Tage frei gab – damit das Büro ordentlich durchgelüftet werden konnte!“

© Vivienne/Gedankensplitter

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