Albert und ich erledigten im Supermarkt gerade unsere Wochenendeinkäufe. Plötzlich nahm mich mein Mann bei der Hand, schob mit der anderen das Einkaufswagerl hinter eine Säule Katzenfutter und zog mich zu sich. „Psst!“ deutete er mir an. „Das ist er, der neue Mann im Jahr eins nach Neumaier – ich habe dir ja erzählt, dass Rossecker seine Ex-Freundin und Abteilungsleiterin Neumaier rausgeworfen hat. Schluss mit der Weiberwirtschaft! hat er geschrieen – wurde erzählt. Und stantepede hat er diesen überaus attraktiven Mann eingestellt – angeblich kennen sich die beiden von der Uni…“ Ich ächzte, denn mir tat das Kreuz weh nach den Verrenkungen, zu denen mich Ali genötigt hatte mit dieser Aktion. Wer interessierte sich schon für den neuen Abteilungsleiter Manfred Tischler? Etwas in die Jahre war er schon gekommen, und verdammt eitel wirkte der grauhaarige Mann, fast sah er ein wenig aus wie Vader Abraham mit seinen Schlümpfen – nur halt auf piekfein. Albert lachte. „Stimmt, der Mann ist eitel wie Hölle und wenn er sich eine Zigarette anzündet, dann setzt er sich so, dass der Rauch als Weichzeichner wirkt….“ Ich musste kichern. „Ich verstehe, keinem anderen wie diesem Mann konnte so ein Reinfall passieren – eh klar, wenn man so selbstverliebt ist. Denn das ist doch der Mann, Ali, der mit Rosseckers Chefsekretärin übers Kreuz ist?“
„Genau der!“ gab mir mein Mann Recht. „Bei der Weihnachtsfeier war Tischler schon ziemlich angeheitert gewesen und hatte die Chefsekretärin, Claudia Prager heißt sie, angemacht. Die reagierte ziemlich bissig und drohte dem neuen zweitwichtigsten Mann in der Firma gleich mal eine Ohrfeige an, so wütend war sie. Rossecker hatte zum Glück die Situation beobachtet und ging dazwischen, schwächte die angespannte Situation ab. Du weißt ja selber, Vivi, mit ein paar Achteln Roten ist Rossecker der umgänglichste Mensch, den man sich vorstellen kann…!“ Ich schwieg, weil ich mich an so manchen Wutanfall von Rossecker erinnerte. Der Mann war ein Choleriker wie er im Buche steht, aber Alkohol in dosierten Mengen machte ihn so friedfertig, wie ein Lamm. Währendessen erzählte Ali weiter, ich kannte die Geschichte schon, aber sie war einfach zu komisch, darum hörte ich intensiv zu.
„Tja, Tischlers Eitelkeit vertrug einfach nicht, dass ihn jemand ablehnte. Irgendwie war er der Meinung, dass ihn einfach jeder mögen musste: weil er so gut aussah und so charmant war, weil er über Ausstrahlung verfügte und er war ein guter Vorgesetzter – glaubte zumindest alles er. Meiner Meinung nach war es falsch gewesen die Neumaier rauszuwerfen, die verstand vom Fach viel mehr und hatte den Durchblick. Aber ich habe Gott sei Dank beruflich nichts mit Tischler zu tun… Jedenfalls wollte das Ego von Tischler nicht akzeptieren, dass ihn Claudia Prager so offensichtlich ablehnte. Sie ging ihm aus dem Weg wo sie konnte und auf private Gespräche mit ihm ließ sie sich nicht ein. Meiner Meinung ist sie überhaupt ein etwas extremer Mensch, der seine Vorlieben und Abneigungen deutlicher auslebte als jemand anderer. Und außerdem habe ich sie beobachtet und denke, dass die ein wenig aus dem anderen Lager kommt, du weißt schon, nicht unbedingt auf Männer steht… Aber Tischler jedenfalls wurde das zu bunt – wahrscheinlich wartete er schon auf die Anbetung der Prager, die war die einzige, die ihm noch in der Runde fehlte. Die anderen Damen in der Firma hatte er ja schon im Sturm erobert… Er redete mit Rossecker, der nicht recht wusste was er dazu sagen sollte. Schließlich konnte er seiner rechten Hand schlecht befehlen, mit dem Abteilungsleiter auf Small Talk zu machen.“
Albert schmunzelte und beförderte Waschmittel und Weichspüler ins Einkaufswagerl. „Und schließlich hatte er eine Idee, mit der er Tischler besänftigen wollte. In der Psychologie wird ja übertriebene Ablehnung gerne als das absolute Gegenteil gedeutet – als Ausdruck verhaltener Liebe oder Zuneigung, die man sich nicht eingestehen will. Das mochte ja sonst oft stimmen, aber wenn du mich fragst: bei der Prager war die Abneigung offensichtlich, die verstellte sich sicher nicht, nur war sie halt auch wenig diplomatisch… Aber dem Tischler gefiel der Gedanke, dass die nicht unattraktive Prager heimlich in ihn verliebt war. Und er suchte nach einer Möglichkeit, ihr die versteckten Gefühle zu entlocken, die seiner Eitelkeit so sehr geschmeichelt hätten. Rossecker hätte wohl den Mund gehalten, hätte er geahnt, dass seine psychologische Diagnose zur Eskalation der Situation führte. Aber Tischler wollte es wissen, unbedingt, und an einem Freitagnachmittag sorgte er dafür, dass die Prager und er im Lager eingeschlossen wurden. Unter einem Vorwand hatte er sie kurz vor Dienstschluss noch zur Beratung bei einer dringenden Bestellung mitgebeten…“
Ali schob den Einkaufswagen Richtung Kassa. „Das Spülmittel haben wir nicht vergessen? Also. Der Plan war gut durchdacht, da die Leute in der Firma Freitag nach 14:00 Uhr schnell ins Wochenende aufbrechen. Das weißt du ja selber noch. Telefon gab es zudem im Lager keines und die meisten Handys hatten dort keinen Empfang. Tischler war sich sicher, dass die spröde Lady in der trauten Zweisamkeit schnell ihre Krallen ablegen würde. Muss schon witzig gewesen sein, wie er sich vorstellte, dass ihm die Prager einfach so um den Hals fallen würde. Stattdessen hat sie sofort begonnen, SMS an die Leute zu schicken, die einen Schlüssel für die Firma haben. Sie hatte einen anderen Handyanbieter als Tischler und zeitweise ein wenig Empfang. Als er sie gefragt hat, was sie da machen würde, soll sie ihm geantwortet haben, dass sie nicht vorhätte das Wochenende hier drinnen mit ihm zu verbringen… Herrlich, Vivi, ich wäre gerne dabei gewesen. Und nach einer halben Stunde wurden die beiden schon befreit, ausgerechnet von Rossecker, der gerade beim Schweinsbraten gesessen sein muss. Anscheinend hat er Tischler einen scharfen Blick zugeworfen und gemeint, dass sie das Montag ausreden würden. Hahaha! Heiße Liebesakrobatik hat es in der kurzen Zeit im Lager sicher nicht gegeben, jaja, ich denke, Rossecker hat seine Praxis als Hobby-Psychologe wieder geschlossen. Hast du die Autoschlüssel, Vivi? Wir fahren heim!“
Nach einer wahren Begebenheit
© Vivienne