DEN JAHREN LEBEN GEBEN … – Buchtipp von Harry Popow

„Wunderwasser Harkány. Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben.“ – Karl-Heinz Otto

Dieses Buch „Wunderwasser Harkány“ mit dem Untertitel „Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben“ könnte leicht in die irrige Annahme führen, es handele sich nur um die Gesundheit des Autors mit hinzugefügten Reiseerlebnissen. Nein, es ist ein Plädoyer für die Liebe. Und so muss ich als Rezensent gleich jenen Schlusssatz des Autors Karl-Heinz Otto hervorheben, den ich für den tiefsinnigsten des in letzter Zeit gelesenen halte: „Es kommt nicht darauf an, dem Leben Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben!“

Ergänzend hebt er auf Seite 365 hervor: „Was für die gesamte Menschheit der Frieden ist, ist für das Individuum die Gesundheit, „denn sie bedeutet, Frieden mit seinem Körper und Geist zu schließen …“

Wer so genau hinschaut auf die wahren Werte für die Menschen, der nimmt auch nicht jeden angeblich gut gemeinten Ratschlag auf, weder von der Politik noch von Ärzten. So ist zu lesen, dass der Autor seit dem 68. Lebensjahr an einer schmerzhaften Hüftarthrose litt, und der Arzt ihm alternativlos eine Hüftprothese empfahl. Im Hinblick auf die Beschwerden seiner Mutter, die nach mehrmaligen Hüft-Operation schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen war, lehnte Carlotto, wie er sich als Schriftsteller nennt, jeglichen operativen Eingriff ab. Er fragte sich, wie er es bisher in seinem ganzen Leben gewohnt war, ob es nicht eine Alternative gebe, von dem der Herr Doktor nicht eine einzige erwähnt hatte. Etwa des ausbleibenden Gewinns wegen? Sein kritischer Geist und sein Mut verhalfen ihm jedenfalls, am Vorschlag seines Arztes zu zweifeln.

Dabei zweifelte er keinesfalls Kompetenz und Können seines Arztes an, sondern hinterfragte lediglich dessen vorschnelle Entscheidung, um möglicherweise doch noch eine Alternative zur Hüftoperation zu finden. Wenn der geneigte Leser diese Haltung auch für sich positiv zu vermerken weiß, dann wohl auch für die Fragen von Krieg und Frieden. Der Autor, um es vorwegzunehmen, hat auch folgenden Satz als seine Lebensmaxime betrachtet: Er mache sich keine Gedanken darüber, was er nicht beeinflussen kann. Doch er widerspricht sich selber: Denn jede Zeile dieses Buches handelt nicht von Wundern, sondern vom prallgefüllten Leben eines aktiven und lebenshungrigen Menschen, der mit tausenden kleinen und großen Taten den Jahren Leben gab und gibt.

Die Neugier, der Wissensdrang, das Wunder von menschlicher Kraft und Einfühlungsvermögen – sie sind es, die das eigentliche Wunder darstellen. Nicht allein das Heilwasser ist es, dass das Wunder zu 99.99 Prozent vollbringt, seine Hüftleiden zu heilen (siehe Seite 122) und das Leben wieder in vollen Zügen zu genießen, sondern der menschliche Wille, die heilenden Naturkräfte zu erforschen, zu analysieren und für sich nutzbar zu machen. Und wäre der nach Heilung suchende Autor nicht von einer möglichen Alternative überzeugt gewesen und hätte nicht Kraft, Ausdauer und die notwendigen finanziellen Mittel aufgebracht, hätte er wohl nie das europaweit einmalige Wunderwasser von Harkány aufgespürt.

Folgen wir als Leser dieser Odyssee, die ihn zunächst nach Bad Doberan, nach Heiligendamm und in das slowakische Weltbad Pistany führt, um endlich in einer Zeitreise durch die Geschichte der Baranya und Ungarns zu enden, dann finden wir auf nahezu allen Seiten die Liebe Karl-Heinz Ottos zu den Mitmenschen, seine ausgeprägte Sucht, der Geschichte und den von den gesellschaftlichen Bedingungen abhängigen Menschen und deren Mut zum Überleben auf den Grund zu gehen.

Seine erste Reise nach Ungarn verdankt er persönlichen Beziehungen. Dort trifft er sich mit seinen ehemaligen Schulkameraden Ingrid und Rolf Poser, die nach der politischen Rückwende ausgewandert waren. Der ehemalige Botschaftssekretär hat sich am Rande der ungarischen Puszta der Weinkelterei verschrieben und macht sich als talentierter Laienmusiker und versierter Akkordeonspieler im dortigen katholischen Kirchenchor nützlich.

Diese und viele andere Kontakte zu Ungarn, Donauschwaben, Literaturfreunden, Bauern und Katholiken bereichern nun das Leben des Autors. Er gewinnt nicht nur neue Leser für seine Bücher, er erfährt Lebensgeschichten, Schicksale und Lebensbedingungen auf Dörfern und in Städten. Ihn interessieren neben Lebensgeschichten seiner Wahlverwandten, wie er sie bisweilen nennt, vor allem deren Kenntnisse über die Geschichte des Landes, über ihre Burgen, Schlösser und anderen kulturellen Denkmäler. Beeindruckend, mit wieviel Liebe er seine Freunde zeichnet und seine Leser an deren – manchmal auch kontrovers geführten – Gesprächen und Disputen teilhaben lässt, die sie selbst beim Baden im Heilwasser führen. Da zu den Badegästen neben einheimischen Ungarn auch zahlreiche Serben und Kroaten, Tschechen und Slowaken gehören, kommen auch so manche Erinnerung an sozialistische Zeiten ins Spiel. Er verneigt sich vor der Gastfreundschaft, vor der ehrlich gemeinten Höflichkeit und den Kochkünsten seines Gastlandes.

Es gibt keinen einzigen Ausflug des neugierigen Autors in die südungarische Baranya, bei dem er lediglich die Schönheit der jeweiligen Feste oder Kirche beschreibt. Stets hinterfragt er, weshalb diese steinernen Zeitzeugen aus dem jahrhundertealten Kampf gegen die Türkenherrschaft noch heute so zahlreiche Besucher anziehen? Der atheistisch geprägte Autor bemüht sich, Hintergründe und Zusammenhänge zu erkennen und setzt sich vor allem kritisch mit den Auswüchsen der katholischen Kirche auseinander, ohne ehrliche Gläubige zu verletzen. So nimmt er an Schrifttafeln Verschleierungen von Realitäten wahr, setzt sich auf Seite 205 mit der Behauptung auseinander, „den Ursprung der Kirche in die Römerzeit zurückzuverlegen“. Über einen Katholiken und dessen Glauben an fantastische Erscheinungen fällt er kein Urteil, kann und darf er auch nicht als toleranter Mensch, solle doch jeder seinen Glauben pflegen, wenn er ihm guttut. Durch Wallfahrerei komme ja niemand zu Schaden, dafür aber „durch das Segnen der christlichen Waffen und Krieger während der letzten verheerenden Weltkriege“. (Seite 223)

Einen aktuellen Seitenhieb gegen die beiden herrschenden deutschen Parteien, die sich als Christen verstehen, lesen wir auf Seite 232: „Statt der Bibel zu folgen und Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden – also abzurüsten –, folgen sie diesem amerikanischen Wahnsinnspräsidenten und verschleudern immer höhere Milliardensummen für immer grausamere Tötungsinstrumente, obwohl die Bundesrepublik Deutschland von keinem einzigen Staat militärisch bedroht wird …“

Selbst im Wunderwasser in Harkány, so schreibt der Autor auf Seite 342, erwacht in ihm sein Hunger, „den schillernden Facetten des Lebens nachzuspüren und meine nie versagende Neugier zu befriedigen“. So fragt er sich, wer der ungarische Ministerpräsident ist, „an dem die vielfachen Schmährufe aus allen Ecken Europas stoisch abzuprallen scheinen“? Trotz der kostenlosen öffentlichen Verkehrsmittel für EU-Pensionäre, trotz der Legalisierung der familiären steuerfreien Schnapsbrennerei für den Eigenbedarf, was natürlich beim Volk gut ankommt. Weshalb aber die Anfeindungen aus dem Ausland? Ist es dessen Staatsprogrammatik, wie der Autor auf Seite 354 feststellt, die auf dem christlichen Árpáden-Mythos fußt? Ist es dessen Anti-Migrationsrede, die an die „simpelsten Instinkte“ appelliert und eine dämonische Angsthysterie schürt, obwohl die Ursachen für die Flüchtlingskrise bei den westeuropäischen und den USA-Rüstungsgewinnlern liegen? Der Autor resümiert, sein Orbán-Bild habe sich gründlich eingetrübt.

Das Resümee für den Leser mag so aussehen: Einem Menschen mit fundiertem Wissen über gesellschaftliche und geschichtliche Zusammenhänge mag vergönnt sein, mit offenen Augen die Welt zu sehen, sie anzuschauen. Diese Haltung ist es, die einem Urlauber, Touristen oder auch Leser erlaubt, jegliche Erscheinungen zu hinterfragen, nach Antworten zu suchen und sich selbst einzubringen, statt sich wie ein lahmes Schaf durch den Alltag treiben zu lassen.

Was für ein Gewinn des Autors, nach über einem Dutzend Kuraufenthalten in Hakánys Wunderwasser mit seinen eigenen Hüftgelenken wieder schmerzfrei die Welt und sein Leben genießen zu können.

Der Autor, so heißt es auf den letzten Seiten, wünscht ebenso anderen Lesern oder auch Leidtragenden ebenso Widerstandskraft gegenüber ausschließlich profitorientierten Heilvorschlägen mancher Chirurgen. Und sicherlich auch dies: Nach Alternativen suchen sollte man nicht nur auf dem Gebiet des Gesundheitswesens.

Die Haltung, stets mehr zu erfahren, also in die Tiefe zu gehen mit aller Gründlichkeit, das hebt sich von normal Reisenden mit ihren Schilderungen erheblich ab. So lernt man wieder zu forschen, nachzudenken und sich an Genüssen, besonders auch der kulinarischen, zu erfreuen. Zu lieben bedeutet, unsere Existenz zu bereichern, unserem Leben einen Sinn zu geben und die Welt zu verändern. Jeder tue also was er kann.

Der Autor blickt im 81. Lebensjahr auf ein Dutzend Harkány-Kuren zurück und stellt fest: Ich habe alles richtig gemacht. Ich gebe meinen Jahren Leben, ein lebenswertes Leben.

(Übrigens: Die zahlreichen farbigen Fotodokumente sind wie Perlen in diesem Buchgeschenk für die Leser.)

Eine Entdeckungsreise besteht nicht darin, nach neuen Landschaften zu suchen, sondern neue Augen zu bekommen.
Marcel Proust (1871 – 1922)

„Liebe ist nicht in erster Linie eine Bindung an eine bestimmte Person. Sie ist eine Haltung, eine Orientierung des Charakters, welche die Beziehung eines Menschen zur Welt als Ganzes und nicht nur zum Objekt der Liebe bestimmt.“

Erich Fromm

 

 

 

 

 

Karl-Heinz Otto: „Wunderwasser Harkány. Ein Gesundheitstrip & kulturhistorischer Ausflug in die Baranya – Heimat der Donauschwaben. 1. Auflage 2018, Edition Märkische Reisebilder, Korrektur: Regine Miks, Vertrieb: Phon: 0331 270 1787, Mail: dr.carlotto@t-online.de, ISBN 978-3-934232-99-0, 367 Seiten, Preis: 20 Euro

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