Albert war Freitagabend spät heimgekommen. Er war mit ein paar Freunden Kegeln gewesen und bei ein paar Bierchen und guter Laune war es fast Mitternacht geworden. Mit mir selbst hatte er fast nichts mehr gesprochen, er war fast im Stehen eingeschlafen. Ich hatte gegrinst. War eine lange Woche gewesen, wer konnte ihm das verdenken? Und ein wenig Spaß musste ja wohl auch sein dürfen… Samstagmorgen stand ich gegen halb neun auf und schaltete die Kaffeemaschine ein. Ein wenig Gebäck, Butter und Käse stellte ich auf den Tisch und da hörte ich Albert schon, wie er aufstand. Gut gelaunt aber schweigsam küsste er mich und setzte sich zum Tisch… Ich holte die Kaffeekanne…
Kauend berichtete mir Albert, dass er gestern großartig in Fahrt gewesen war. Ich lachte mit, war aber mit den Gedanken ganz woanders. In meiner Abteilung würde Montag ein neuer Mitarbeiter anfangen. Ein ganz besonderer Platz würde ihn da empfangen, das war jetzt schon klar. Und das war mir nicht aus dem Kopf gegangen… Alberts Stimme drang an mein Ohr aber nicht hinein bis er plötzlich vor mir stand und lächelnd fragte: „Alles okay?“. Ich beruhigte ihn. „Tut mir leid, aber ein neuer Kollege fängt Montag an und der Arbeitsplatz, den er benutzen wird, scheint ein wenig verhext zu sein…“
Albert grinste breit. „Verhext? Davon musst du mir mehr erzählen!“ Ich nickte. „Wenn du meinst… Da handelt es sich um den Schreibtisch vor dem Kopierer. Weißt du…“ Ich rang ein wenig nach Worten… „Dort ist noch niemand lange gesessen. Mehr als das. Eigentlich verschwanden sie immer von einem Tag auf den anderen.“ Interessiert schenkte sich Albert noch eine Tasse Kaffee ein. „Wie kam es dazu?“ Ich rief mir die Geschichten in Erinnerung. „Als erstes hatte Manuela diesen Platz… Sie bekam ihn, als wir in dieses Büro im dritten Stock übersiedelten. Das heißt sie wollte ihn unbedingt haben, weil er viel Licht bot für ihre vielen Zimmerpflanzen.“
„Manuela war eine ruppige Person, sie war selten freundlich. Einmal war ich mit ihr zusammengestoßen, weil sie meinte, ich wollte ihr meine Arbeit aufhalsen – dabei hatte ich sie nur um einen Gefallen bitten wollen. Du siehst Ali, sie war ein wenig seltsam und die Chefin holte sie ein paar Mal ins Büro um ihr klarzumachen, dass sie nicht so mit Kollegen und Kunden reden konnte. Eskaliert ist das Ganze aber aus einem anderen Grund: Manuela redete sich plötzlich ein, ein Kollege von der IT-Abteilung hätte ihre Daten gelöscht. Sie ging zu ihm und beschimpfte ihn, eigentlich sprang sie wie ein Rumpelstilzchen vor ihm her, wie ich hörte. Da hatte die Chefin genug und warf sie raus. Manuela räumte den Schreibtisch noch in derselben Stunde und ward nicht mehr gesehen.“
Albert lachte laut. „Ich verstehe. Und wer war der Nächste?“ Da fiel mir Isabella wieder ein. „Eine hübsche Frau, in fixer Beziehung, die sich schnell in einen der Buchhalter, Berger, verliebte. Sie himmelte ihn an und verbrachte die Pausen bei ihm, während Berger, der Buchhalter, eher reserviert blieb. Irgendwann begriff das Isabella auch und da mittlerweile ihre Beziehung in die Brüche gegangen war, war sie dringend auf der Suche nach einem männlichen Pendant. Immer öfter war sie freitags im Krankenstand oder auf Urlaub, weil sie am Vorabend die Nacht zum Tag machte und auf Aufriss unterwegs war.“ Albert schüttelte den Kopf. „Eure Chefin hat dabei zugesehen?“ „Am Anfang schon, die beiden kannten sich von früher. Aber dann machte die Chefin dem Ganzen ein Ende. Übernächtig saß dann Isabella freitags im Büro, telefonierte viel privat und stempelte als erste aus.“
Ali nickte. „Und?“ „Ob du es glaubst oder nicht: an einem Freitag verließ sie einmal das Büro wegen eines Arzttermins wie sie sagte.“ Ich musste schmunzeln. „Und sie kam nicht wieder!“ Mein Mann klopfte vergnügt auf den Tisch. „Nicht schlecht. Und der oder die Nächste?“ „Ja, das war Barbara gewesen.“ Ich sah sie wieder vor mir… „Weißt du, in meinem Alter, Ali. Ein Sohn. Lebte in einer Beziehung. Schien alles okay zu sein und die Arbeit machte ihr offensichtlich Spaß. Auch mit den Kollegen verstand sie sich – aber das war alles nur Fassade. Ihr Lebensgefährte war krankhaft eifersüchtig und versuchte sie zu kontrollieren. Manchmal rutschte ihm auch die Hand aus wie es hieß.“
„Auweia!“ machte Ali seinen Gedanken Luft. „So einer ist das Allerletzte.“ Ich konnte ihm nur beipflichten. „Davon ahnten wir lange nichts, aber wir merkten, dass sie sich veränderte. Wortkarg, missgelaunt und in der Arbeit nicht mehr so bei der Sache. Dazu kamen gesundheitliche Probleme… Und was soll ich sagen… Nach einem Wochenende kam sie nicht mehr wieder. Irgendwann trudelte eine schriftliche Kündigung von ihr herein und so nach und nach sickerte dann durch, wie trist ihre private Situation gewesen war. Von ihrem Freund hatte sie sich zu der Zeit schon getrennt gehabt…“ Ali schwieg eine Weile. „Und wirklich alle auf dem selben Schreibtischsessel? Eine seltsame Sache, da geb ich dir Recht, aber wer weiß, vielleicht arbeitet der neue Kollege ewig dort und bricht den Bann!“
Vivienne