Ich und der Yeti

Ich und der Yeti

„Hallo, da bist du ja wieder. Hab lange nichts von dir gehört. Komm setz dich, ich habe noch einen guten Schluck von dem Zeug.“ Der Yeti schaute ganz überrascht zu dem bärtigen Zausel in der schicken Jack-Wolfskin-Jacke, dessen gesunde Gesichtshaut schon von weither geleuchtet hatte, als er heute Abend nur mal nach der Post schauen wollte. Der Bursche saß vor einem knallroten Zelt, dem eine Handbreit Schnee so etwas wie eine Überzuckerung gab. Der Yeti überlegte noch, ob es sich zu diesem frühen Nachmittag schon schickte, Glühwein zu saufen, aber andersherum, bei einem möglicherweise sehr unterhaltsamen Menschen könne man ja mal eine kurze Verschnaufpause einlegen.

“Pass auf, Yeti, ich darf dich doch so nennen, oder…?“ Der Yeti beeilte sich, mit dem Kopf zu nicken.
„Gut, mein Lieber, ich dachte schon…ich bin der Reinhold. Du weißt schon, der weltberühmte Bergsteiger und Naturschützer aus Südtirol, du weißt schon, der mit den 14 Achttausendern, der als erster Mensch ohne Sauerstoff auf dem Everest war.“ Der Yeti schaute ein wenig misstrauisch ob der Ansage Reinholds, der scheinbar auch ohne Sauerstoff lange Reden halten konnte und noch nicht mal Luft holen musste. Trotzdem ergriff er dessen ausgestreckte Hand und drückte sie.
„Komm hock di na, Yeti, so jung kommen wir nicht mehr zusammen, Freund. Ich darf dich doch als meinen Freund bezeichnen, oder nicht?“ Der Yeti beeilte sich schon wieder, mit dem Kopf zu nicken. Gegen gute Freundschaften hatte er noch nie etwas einzuwenden.
Reinhold hatte schon den knallrot lackierten Aluminiumbecher mit Glühwein gefüllt und ihn dem Yeti gereicht, der, schon der eben erst begonnenen Freundschaft willen, ihn natürlich annahm.

„Yeti, dass i di noamal treff, hät i nie für mögli gehoiten. Oh verzeih, ich vergaß. Also lass dir was sagen, i mog di, Prost!“ Reinhold zog den blauen Becher mit einem Zug leer und hatte schon wieder die gefüllte Schöpfkelle aus dem über dem Gaskocher sprudelnden Glühweinkessel gehoben und seine geschickten Bewegungen verrieten hierdurch die Erfahrungen eines Weltbergsteigers. Der Yeti hatte soeben erst an dem Becher geschnüffelt, als er schon wieder das gesellig gemeinte „Prost“ des Südtirolers hörte.
Er musste an seine Frau denken, die ihm gesagt hatte, dass er bei seinem Gang ins Tal, das Klopapier nicht vergessen sollte und wenn er schon beim Aldi in Katmandu vorbei schauen würde, er auch noch ein Viertele von dem gekochten Schinken mitbringen könne. Außerdem wäre kein Geschirrspülmittel mehr da und er solle mal bei den Sonderrangeboten schauen, er wisse ja.
„Yeti, ich habe jede Menge Reklame für dich gemacht. Im Fernsehen habe ich schon vor dreißig Jahren von deiner Existenz erzählt. Allerdings wollte mir keine Sau glauben. Stell dir mal vor, was das bedeuten würde. Wir beiden auf Welttournee unter dem Motto „Ich und der Yeti!“. Der Yeti beeilte sich, den Kopf zu schütteln.

„Hast ja Recht, mein lieber, es müsste heißen „Der Yeti und sein Entdecker, der weltberühmte Reinhold Messner, der ganz alleine und ohne Sauerstoff ,alle sechzehn Achttausender bezwang.“ Der Yeti schüttelte energischer als soeben noch seinen Kopf und auf seiner Stirn bildeten sich Zornesfalten.

„Ach stimmt doch, Yeti, vierzehn sind es und nicht sechzehn, Prost.“
Der Yeti überlegte, seine Frau, die mit ner leichten Grippe zuhause im Bett lag, würde heute nicht ausrasten, wenn er sich verspätete, aber wenn sie eine Alkoholfahne bei ihm riechen würde…? Also beschloss er, den Glühwein lieber heimlich wegzuschütten. Außerdem war das Gesöff vom Reinhold nicht allererste Sahne. Hier schienen wohl verschiedene Industrieweine aus der EG zu einem neuen Leben als Wintergesöff erwacht zu sein. Dicke Birne anderntags, inclusive!

“Wenn wir auf dem Globus unsere Runden drehen, Yeti, wird uns der Sprit nie ausgehen, glaub`s mir! Wir werden in Sekt baden und tausend Schönheiten werden uns zu Diensten sein, Prost.“ Beim letzten Prost war der Reinhold einfach umgefallen und hatte zu schnarchen angefangen. Der Yeti hatte ihn gepackt und ins Zelt geschleppt, ihn eingetütet und nachdem er den Reißverschluss des Schlafsacks zugezogen hatte, kippte er den restlichen Glühwein in hohem Bogen weg und drehte den Gaskocher zu. Jetzt musste er sich aber beeilen, denn im Winter schlossen die Supermärkte in Katmandu immer zum Einbruch der Dunkelheit.

Ein paar Tage später konnte der Yeti auf CNN den Reinhold über seine Begegnungen mit dem Yeti erzählen hören. So sehr sich der Yeti auch anstrengte, zuzuhören, von Glühwein war gar nicht die Rede gewesen, obwohl die Frau vom Yeti so eigentümlich misstrauisch geschaut hatte, als sein Name gefallen war.

Und so sehr er sich auch erinnern wollte, der Reinhold war ihm vorher völlig fremd gewesen. Ob der Vater damals? Der hatte aber bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren, niemals von ihm erzählt.

Figuren und Handlung sind völlig frei erfunden. Nur den Yeti gibt es, fragts den Reinhold!

(C) A.S. chefschlumpf

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