Text enstammt einem Gemeinschafts-Projekt Schreibbegeisterter.
Ich habe mal meine Beiträge zusammengefasst. Gefällt möglicherweise auch hier. chefschlumpf (Antoine Susini)
Kapitel Zwei
Dieses kleine Wesen in der Gestalt eines der nachwachsenden Muttertiere, der sterblichen Erdlinge war es dann, welches mich aus meiner beunruhigenden Starre erweckte, in dem es mich ganz sanft auf seine rechte Schulter setzte, nicht ohne vorher den rechten Zopf, einem Schutzschild gleich, über meinen Kopf zu ziehen.
„Pipilein beschützt dich, großer Lesidor, keine Angst, wir sind gleich beim großen Leonardo und dort wird es dir wohl gut ergehen.“
Das sich selber „Pipilein“ nennende Wesen, sprang mit einem mächtigen Satz auf den „Kleiner Onkel“
genannten Zossen und zwar so ungestüm, dass es mir nicht nur die Sprache verschlug, sondern mich in ungewohnter Weise aus dem Gleichgewicht brachte.
Während Pipilein rücklings auf Kleiner Onkel saß, landete ich sehr unsanft auf dem mit grünem Moos belegten Boden. Das heißt, ich wäre beinahe dort unsanft gelandet, hätte nicht irgendeiner meiner Reflexe dafür gesorgt, dass ich, noch bevor ich den Boden berührte, meine bevorzugte irdische Gestalt annahm und daher auf meinen großen und breiten Füßen landete.
Pipilein lachte in sich immer höher schaukelnde, pirouettengleiche, beinahe in tiefem Glucksen ersterbenden Tönen, welche zuletzt dem Heulen einer Schiffsirene glichen.
Ich muss wohl sehr verdattert ausgesehen haben, was dann Herrn Nilsson zu einer heftigen Reaktion veranlasste und diesen auch hierdurch aus dem Gleichgewicht brachte und nun ihn statt meiner, unsanft auf der Moosfläche landen lies.
„Kruzitürken!“ ,japste Herr Nilsson und rieb sich seinen Allerwertesten, nachdem er sich aufgerappelt hatte und er sah mich nur ungläubig an.
Pipilein, die die ganze Vorstellung mit sichtlichen Vergnügen verfolgt hatte, schlug sich abwechselnd auf ihre Oberschenkel und hatte offensichtlich ganz große Mühe, ihre Fassung zurück zu erlangen.
„Los ihr beiden Sportskanonen, Leonardo wartet, er hat das Bild schon beinahe fertig gemalt und ich möchte nicht versäumen, dabei zu sein, wenn es endlich soweit ist.“
Herr Nilsson war mit einem Satz auf Kleiner Onkel gelandet, während ich mir vornahm der seltsamen Gesellschaft zu Fuß zu folgen.
Am Ende der moosigen Fläche stand ein Turm, der wohl aus grob behauenen Granitsteinen erbaut schien. Eine krumme Treppe führte zu einer festen Türe, die aus einem leuchtenden Metall gefertigt schien. Ich konnte mich nicht erinnern, solches schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Auch dieses haarige Wesen, Herr Nilsson genannt, oder dieses kleine Mädchen war mir nicht in Erinnerung. Doch trotz aller Verwirrung, erschien mir jetzt die ganze Situation nicht in irgendeiner Hinsicht als für mich bedrohlich. Dieses Pipilein genannte Wesen, war mir direkt ans Herz gewachsen, noch bevor mir eigentlich klar war, um welche Art von Geist es sich bei ihr wohl handeln könnte. Diese unerschütterlich scheinende Präsenz, erinnerte mich an meine ganz frühen Jugendtage. Dieses Pipilein musste ein ebenso mächtiges Wesen sein, wie ich bisher nur für mich in Anspruch nahm.
Ich hielt mich schon immer für so ziemlich einmalig und nun wurde mir eine zweite Seite der Medaille gewahr. Von meiner Sorte musste es wohl eine größere Anzahl geben im Universum.
Eine Erkenntnis, welche mich auch seltsamerweise nicht im Mindesten überraschen konnte.
„Leonardo mach auf! Pipilein steht vor deinem Turm und Pipilein hat Freunde mitgebracht!“
Anstatt einer Antwort ließ ein lautes Klacken die mächtige Türe aufspringen und eine Art rotes Licht fiel aus der Türöffnung, welches Pipileins Haar in nur noch intensiveres Rot tauchte.
Pipilein, noch immer auf dem Rücken des kleinen Onkels verkehrt herum sitzend, war schon längst im Eingang verschwunden, als mich ihr Ruf der ganzen Gesellschaft folgen lies.
„Lesidor, du lahme Krähe, komm folge uns nach, bevor dir die Strahlen der Sonne das Gehirn erweichen!“
Und wieder folgte das nun schon beinahe sattsam bekannte Glucksen, welches sich zu hellem Girren steigerte
Etwas außer Atem sah ich Pipilein schon in einem breiten ledernen Sessel sitzen, während mich von genau gegenüber der Türe, ein ziemlich alt aussehender Mann musterte, dessen Kopf von einer mächtigen Mähne umrahmt war, die ihm etwas Löwengleiches verlieh und der mit einem Pinsel ein sehr buntes, querformatiges Bild betupfte.
Die Szene die dieses Gemälde darstellte, zeigte eine Anzahl von jugendlich wirkenden Männern an einer langen Tafel, dessen mittlerer wohl eine Sonderstellung innehaben musste. Aller Augen waren auf den scheinbaren Sonderling gerichtet und dieser schien soeben ein Stück Brot zu zerteilen, auf deren Verteilung wohl die gesamte Schar zu warten schien.
„Grandios, Leonardo! Das Abendmahl, wie es noch niemals gemalt wurde und auch niemals mehr gemalt werden wird. Und ich sage dir, Joey ist der schönste Kerl von allen, die du bisher gemalt hast!“
Pipilein schlug sich wiederum vor Vergnügen auf die Schenkel, während Kleiner Onkel ein Paar Pferdeäpfel hinter sich fallen lies und Herr Nilsson einige der überall herumliegenden Tuben ausdrückte, deren Inhalt ihm sehr zu munden schien.
„Pipilein, du kleiner Schatz, du kommst gerade recht, es ist vollbracht.“
Leonardo hatte seinen Pinsel fallen lassen und sich zu Pipilein hinunter gebückt und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Irgendetwas lies mich zusammenzucken. Es war dunkler geworden, als es soeben noch gewesen war. Ich hatte meine Position jedoch keineswegs verändert. Noch immer hing ich in diesem verflixten, ausgehöhlten Baumstamm und doch war irgendetwas ganz anders als noch zuvor.
Die Strahlkraft dieser Sonnen ließ nach. Vielleicht meine letzte Chance, doch noch die Kaskaden zu erklimmen?
Eine nicht zu bändigende Euphorie erfasste mich. Das Geheimnis würde gelüftet, ich würde frei sein! Frei wie der Wind, der über die Ebenen am Schwarzen Meere, meiner Heimat, hinwegfegte. Ich würde diese Zuflucht hinter mir lassen können und doch noch mächtiger werden als schon zuvor.
Doch nun kam es wohl darauf an, abzuwarten und auf keinen Fall den günstigsten Augenblick zu verpassen. Ich konnte diesen beinahe nicht mehr erwarten. Ich, der schon so lange zu warten schien, wurde von Ungeduld erfasst. Etwas, das mir bisher beinahe unbekannt war.
„Domine, quid multiplicati sunt qui tribulant me?“
Diese schrille Stimme wurde lauter.
„Domine Deus meus, in te speravi“
Ein dunkel murmelnder Chor antwortete der Stimme
„Salvum me fac, Domine, quoniam defecit sanctus.“
Die einzelne Stimme erhob sich, beinahe klagend.
„Exaudiat te Dominus in die tribula-tionis.“
„Beatus qui intelligit super egenum et pauperem.“
Es war der murmelnde Chor der Stimmen, der plötzlich verstummte.
In der unwirklichen Dämmerung, die der ersten Veränderung ganz allmählich folgte, konnte ich die Ursache dieser hochgeistigen Litanei erspähen. Schon nach den ersten Silben dieses mir so heimatlich erscheinenden Singsangs, hatte ich meine Schutzbehausung verlassen und war zum großen Loch geflogen, um aus diesem hinaus zu spähen.
Ein menschliches Wesen, in strahlendstes Weiß gehüllt, führte eine Reihe von Purpurträgern an und einen großen Stecken mit sich, der am oberen Ende in einen schneckenförmigen Ring endete.
Die Purpurträger folgten diesem in sehr respektvollem Abstand und falteten bei jedem Satz des Weisgewandeten ihre Hände, um sofort ein auf ihrer Brust baumelndes Kreuz zu streicheln und sich anschließend hinzuknien.
Hernach standen sie, wie auf Kommando wieder auf um in einem Singsang zu antworten.
„Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam.“
Der Weisgewandete rief laut und hob seine Arme, während sein Stecken ein Eigenleben zu führen schien und den Weg fortsetzte.
„Eripe me de inimicis meis, Deus meus.“
Der Chor antwortete spontan, wobei sich das scheinbar gut einstudierte Verhalten abermals wiederholte.
Währenddessen war die ganze Gesellschaft schon sehr nahe an meinen hohlen Stamm, des für mich immer noch nicht ganz einzuordnenden Baumes, herangekommen.
Diese hier völlig unerwartete Vorstellung, hatte bei mir so etwas wie körperliche Erregung ausgelöst, glaubte ich doch dieses Getue aus meiner Heimat zu kennen. Schon vier Millionen Jahre hatte dieses liturgische Geschehen für mich eine ungeheure Präsenz.
Es waren Augenblicke, die in meiner Seele ein tiefes Verlangen nach ewiger Jugend auslöste.
Ich, der ich schon so lange ich denken konnte, auf der guten alten Erde meiner Wege ging, fand hier auf diesem Begleiter zweier miteinander verbunden zu sein scheinender Sonnen, Fragmente meiner inneren Sehnsucht, die mir auch schon längst entschwunden schienen.
„Deus misereatur nostri, et bene-dicat nobis.“
Der Weiße, den ich gut sehen konnte, da er sich nun genau vor meiner Höhle befand, trug eine kronenähnliche Kopfbedeckung, die ihn noch Ehrfurcht einflößender erscheinen ließ, als schon durch seine hoch gewachsene Gestalt.
„Exsurgat Deus, et dissipentur in-imici ejus.“
Der Chor der uralten Männer antwortete, faltete die Hände.
Sie streichelten das Kreuz und knieten nieder.
„Ut quid, Deus, repulisti in finem, iratus est furor tuus super oves pascuæ tuæ?.“
Der Weiße drehte sich um zu seiner Gefolgschaft und hob die Hände, worauf der ganze Chor verstummte.
„Deus, venerunt gentes in hæredi-tatem tuam.“
„Er muss widerrufen. Galliläo muss widerrufen, es geht kein Weg daran vorbei. Es sind die Sonnen, die uns umkreisen.“
Der Weiße klang beschwörend.
„Er wird widerrufen, oh glaube uns, Du Edler!“
Der Chor schwoll an!
„Es ist Blasphemie, zu behaupten, dass wir uns nach den Sonnen zu richten haben. Er muss widerrufen, so wird es sein.“
Der Weiße wirkte hypnotisierend, auch auf mich!
Ich werde widerrufen, oh Edler!
Meine Gedanken drehten sich wie ein Strudel im Meer.
„Deus, venerunt gentes in hæredi-tatem tuam.“
Der schrille Chor wurde unüberhörbar.
„Ich werde widerrufen, oh Du Edler!“
War ich das, der dort rief?
Scheinbar ja, denn der Weißgewandete drehte sich sofort zu mir um und ein Lächeln überzog sein vorher so gestrenges Gesicht, um in ein unmenschliches Lachen auszubrechen, welches nun nur noch von den laut jauchzenden Purpurnen übertroffen werden konnte.
„Qui habitat in adjutorio Altissimi, in protectione Dei cæli commo-rabitur.”
Der Weiße war beinahe verstummt, sein Atem war nun besser zu hören, als seine leisen Worte.
„Gut, mein kleiner Freund, bereue und Du wirst erhört und erhöht werden.“
Er reichte mir einen Gegenstand in meine Zuflucht, den ich sofort als ein ziemlich altes ledernes Fernrohr erkannte.
Ich nahm es an und wunderte mich noch nicht mal, dass es sofort in Staub zerbröselte in meinen Händen. Mehr wunderte mich die Tatsache, dass ich nun scheinbar wieder die Gestalt eines Mannes angenommen hatte.
„Galliläo Galliläi, Die Kirche nimmt Dich wieder in Ihre Schöße. Halleluja!“
„Halleluja!“
Der Chor antwortete spontan.
Ein mächtiger Knall lies meine Glieder erzittern. Ein bläuliches Licht erhellte meinen Baumstumpf. Knistern und Knacken lies mich aus meiner Zuflucht fliehen. Der Baum stand in hellen, purpurnen Flammen.
Überall um mich herum zuckten Blitze und der Himmel war erfüllt von ungeheurem Donner!
Das Licht des Doppelsterns war beinahe nicht mehr zu sehen.
Der soeben noch so laut und schrill erklingende Chor war ebenso verstummt, wie er von der Bildfläche verschwunden zu sein schien.
Dort wo soeben noch der Weiße gestanden haben musste, sah ich nur ein kleines glitzerndes Ding und als ich versuchte es aufzuheben, musste ich doch große Kraft aufwenden. Es war die kronenartige Kopfbedeckung des Weißgewandeten, die tief im moorigen Boden steckte.
Ich verbarg sie unter meiner Achselhöhle und als ich mich in meine Fledermausgestalt zurückverwandelt hatte, konnte ich mich nun endlich auf meinen Aufstieg zu den höchsten Höhen der Kaskaden vorbereiten.
„Halleluja!“
Wird fortgesetzt!
©A. S. 2007