Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
14.11.2005, © Vivienne
Das Mamasöhnchen
Bisweilen gibt es Menschen, die haben von Anfang an keine Chance in Ihrem Leben. Meint man halt oft, weil man nur die eine Seite der Medaille betrachtet. Denn das Leben hält immer eine Chance bereit (oder auch mehrere) sein Dasein nicht so hinnehmen zu müssen, wie es ist bzw. ihm eine Facette abzuringen, durch die man für sich selber gewinnt. Aber wer nur jammert und immer nur nach den Sternen greift ohne die Lichter rund um einen wahrzunehmen, verwirft ohne Not schöne Gelegenheiten Bis keine mehr kommt!
Werner Fichtner war so etwas wie eine verkrachte Existenz. Er wohnte, so weit ich mich erinnern kann, lange Jahre in einer Nachbargemeinde und dass etwas nicht mit ihm stimmen konnte, merkte man relativ schnell, wenn man ihn nur näher unter die Lupe nahm. Fichtner, er war um die dreißig als ich ihn das letzte Mal sah, war nicht wie ein junger Mann angezogen sondern wie ein Pensionist. Im Winter sah man ihn nie ohne die typische Kappe, die Senioren so tragen, herumlaufen. Auch sonst war er nicht modisch gekleidet sondern mit einem Wort megaout, jedem Trend im Wege. Dabei handelte es sich um durchaus um teure Kleidung, die ihm na, wer wohl, Mama! besorgte, aber der Mutter fehlte leider jedes Gespür, was ein junger Mensch anzieht und Werner ließ sich das wirklich gefallen
Kann man einen Menschen ernst nehmen, wenn er so unter dem Schlapfen seiner Mutter steht? In der Tat nicht, auch wenn er ein Lehramtsstudium an der Linzer Pädak absolvierte hatte, und das sogar erfolgreich. Mamas Fuchtel war nie weit weg, und der Sohn kam sofort, wenn sie rief. Er war das einzige Kind und hatte sein Dasein nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, wie ich einmal in Erfahrung bringen konnte. Angeblich hatte die Mutter mit zwanzig Jahren eine Eileiterschwangerschaft, bei der sie das Ungeborene verlor. Diagnose: kein Kind mehr. Trotzdem wurde Mama Fichtner fast zwanzig Jahre später unerwartet doch noch einmal schwanger und brachte ihren Buben zur Welt. Ein echtes Wunder! hätte man meinen mögen, aber diese Geburt allein blieb schon das einzige Wunder in Fichtners Leben.
Fichtner muss schon von Geburt an etliche Krankheiten und Allergien gehabt haben. Den größten Teil des ersten Lebensjahres verbrachte er anscheinend in der Linzer Kinderklinik und als ihn seine Eltern endlich endgültig mit nach Hause nehmen durften, erdrückten sie ihn mit Liebe. Vor allem seine Mutter und die ganzen Verhätschelungen und die Fürsorge müssen einen Teil seiner Persönlichkeit völlig verformt haben. Werner Fichtner war das geborene Weichei, der in der Schule verspottet, geprügelt und gehänselt wurde und den die Mädchen nicht wahrnahmen, als er in die Pubertät kam. Aber wie hätte man wohl einen Menschen ernst nehmen können, der nur übernatürlich an seiner Mutter hing und ständig nur die Meinung seines Vaters herunterbetete? In der Pubertät suchen sich die meisten Jugendlichen einen Platz in ihrem Leben, Werner Fichtner hatte ihn längst gefunden: bei Mama!
Natürlich hätte einem Fichtner, der auch während seines Studiums Mama nicht einen Tag allein ließ und abends immer in den Schoß der Familie zurückkehrte, durchaus Leid tun können, wenn er nicht auch ein Verhalten an den Tag gelegt hätte, das man mit dummdreister Arroganz nur sehr ungenügend umschreiben kann. Fichtner hielt sich für etwas Besseres, mich etwa hat er Zeit unserer kurzen Bekanntschaft nur von oben herab behandelt, womit ich aber sehr gut leben konnte, denn dass ich den Burschen mit meinem Wissen mühelos in die Hosentasche einpacken konnte, merkte ich spätestens bei einem Trivial Persuit Tournier in der Bezirkshauptstadt, als er gegen mich das Nachsehen hatte. Was er mir nie verzieh, war er doch ein Studierter
Interessant verlief aber seine Beziehung zu einer jungen Frau in seinem Alter. Was niemand bei uns ernsthaft für möglich gehalten hätte: das Mädel verliebte sich tatsächlich in ihn und rannte ihm im wahrsten Sinne des Wortes nach. Denn Fichtner, der sich sicher das erste Mal in seinem Leben in so einer Situation befand, stieg dieses Gefühl der Macht in den Kopf. Er spielte mit ihr, nahm ihr angeblich sogar Geld ab und hielt sie kurz so wie ein Mädchen, das er selber schon lange verehrte, ihn selber. Offenbar glaubte er, mit seiner Eroberung seine große Liebe eifersüchtig machen zu können. Wie mir die Kleine später einmal erzählte, hatte er sogar geplant sich mit ihr selbständig zu machen, aber selbstverständlich nur beruflich, denn auf einen Lehrerposten wartete er, der mehrere gute Chancen nicht nutzen hatte können, schon sehr lange vergeblich. Aber daran waren ja andere Schuld und nicht er!
Deshalb lebte er auch noch in Mamas Hotel, das er nicht und nicht verlassen wollte. Denn das Service und die Fürsorge dort waren schließlich unbezahlbar. Ich weiß nicht, wie lange diese Dreieckgeschichte wirklich lief, da ich mich zu wenig darum kümmerte, aber die junge Frau, die sich so lange ausnutzen hatte lassen, kehrte ihm schließlich den Rücken zu. Die Details habe ich nie erfahren, denn sie hat nie viel darüber gesprochen. Fichtner hat sich nicht selbständig gebracht und Freunde organisierten ihm einmal eine Wohnung in Leonding, nachdem seine Mutter ein Pflegefall geworden war mit ihm zusätzlich wäre der Vater völlig überfordert gewesen. Ich weiß nicht, wie es ihm heute geht und ob er doch noch einen Job ergattern konnte, aber ich war ihm ehrlich gesagt auch nie besonders grün
Sein Heischen nach Mitleid und sein Jammern wegen der Frauen, die alle so hart zu ihm wären, habe ich noch ihm Ohr, als ich ihn vor Jahren einmal auf einem Amtsweg traf. Dass ihn seine Mutter vor lauter Liebe erdrückt hatte, dafür konnte er nichts, aber für einige andere, weniger positive Charaktereigenschaften, war er sehr wohl selber verantwortlich. Wie kann man nur jammern über mangelnde Akzeptanz bei Frauen, wenn man selber die in ihn verliebte Frau mit Füßen tritt? frage ich mich. Im Grunde hatte es ihm damals wohl auch an einer realistischen Einschätzung seiner Situation gefehlt und ein besserer, weniger arroganter Mensch wäre wohl sehr glücklich gewesen über die ehrliche Liebe einer Frau
Nach einer wahren Geschichte von T.R.
Vivienne
Redakteure stellen sich vor: Vivienne
Alle Beiträge von Vivienne