Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Jänner 2003



Sind Raucher wirklich toleranter?

Dass ich eine große Familie habe, dürfte Ihnen, liebe Leser, in meinen Geschichten schon aufgefallen sein. Bisher war an dieser Stelle jedoch am häufigsten von meiner fünf Jahre jüngeren Schwester Beatrice und ihrem Gatten Louis die Rede. Das liegt hauptsächlich daran, dass mir Bea von all meinen Geschwistern am nächsten steht, und auch Louis mittlerweile nicht mehr nur ein angeheiratetes Familienmitglied sondern wie ein Bruder für mich geworden ist Heute soll jedoch einmal eine meiner anderen Schwestern zu Wort kommen, Natalie, seit einigen Jahren verheiratet und Mutter dreier Kinder. Sie ist übrigens die jüngste von uns acht Geschwistern und außerdem die einzige, die die grünen Augen unserer Mutter geerbt hat.

Letzte Woche, zu Neujahr, am frühen Vormittag, fiel mir in einer kleinformatigen Tageszeitung ein Artikel auf, in dem es unter anderem hieß, Raucher seien meist toleranter und geselliger als andere Menschen. Obwohl ich noch sehr müde war und die Augen kaum offen halten konnte, musste ich darüber schmunzeln, weil mir eine Geschichte einfiel, die eben meiner jüngsten Schwester Natalie vor einigen Jahren passiert ist und die gerade jene These ad absurdum führt…. Dazu muss ich noch anführen, dass Natalie immer schon eine erklärte Nichtraucherin war und auch von Alkoholkonsum, selbst in kleinen Dosen, nicht sehr viel hält. Sie macht aus ihrer diesbezüglichen Meinung auch kein Hehl und geht aus diesem Grund auch Diskussionen darüber nur höchst selten aus dem Weg. Wir, ihre Familie, haben ihre Einstellung akzeptiert, auch wenn wir nicht immer ihre Meinung teilen – wir frönen ja teilweise selber dem Laster des Rauchens…

Der Vorfall, auf den ich jetzt eingehen möchte, hat sich vor gut zehn Jahren ereignet, als Natalie noch im Elternhaus lebte, ihren jetzigen Mann noch nicht kannte und in Linz in einem EDV-Unternehmen in der Industriezeile arbeitete. Ich kann mich noch erinnern, wie sie an jenem Freitag ganz aufgebracht von der Arbeit nach Hause kam (ich hatte übrigens gerade Urlaub) und vor Empörung gerade zu schnaubte. „Was ist los, Natalie?“ fragte ich sie. „Du siehst aus, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen!“ Ich hantierte gerade eifrig in der Küche und war mit dem Abwasch beschäftigt. Auf dem Küchentisch stand ein Aschenbecher, in dem meine Zigarette glühte, und die Luft war mit Rauch erfüllt. Missbilligend blickte mich Natalie an, ihr Blick schweifte zwischen mir und der glühenden Zigarette, dann ging sie zum Küchenfenster und kippte es demonstrativ.

Ich fühlte mich keiner Schuld bewusst. „Willst du einen Kaffee?“ fragte ich meine Schwester, die mir weiter die kalte Schulter zeigte. Wortlos setzte sich Natalie an den Tisch, schob den Aschenbecher angewidert von sich und ich beeilte mich, die Zigarette auszudämpfen. Sie nahm einen Schluck aus der Tasse, die ich ihr hingestellt hatte, und sagte weiter kein Wort. Ich war leicht belustigt, war aber trotzdem neugierig, was meine kleine Schwester so auf die Palme gebracht hatte. Also ließ ich Abwasch Abwasch sein und setzt mich zu ihr hin. „Ren, was ist los?“ Die Stille im Raum war schon spürbar, aber ich kannte Natalie zu gut um nicht zu wissen, dass sie nicht lange so schweigen konnte. Und ich behielt Recht. Nach ein paar Minuten holte sie tief Luft. „Es ist unglaublich, was sich diese Leute so erlauben…!“ fing sie an.

„Hatte der Zug Verspätung?“ wagte ich zu fragen, bemüht, das Grinsen zu unterdrücken, das in mir aufging. Natalie sah sich nicht nach mir um. Sie blickte beim Fenster hinaus und wiederholte: „Es ist unglaublich…“ Nach einem weitern Schluck aus der Tasse begann sie schließlich zu erzählen. „Weißt du, Viv, ich bin spät von der Arbeit weggekommen. Ich hatte großes Glück, dass ich den Zug um 13:59 Uhr noch erwischte, im Grunde hab ich es nicht mehr geglaubt. Leider, du weißt das ja selber, ist der Zug freitags immer so voll, weil ihn auch viele Schichtarbeiter benutzten. Ich fand nur mehr Platz in einem Raucher-Abteil, wo schon ein Ehepaar über Fünfzig saß, und neben mir hatte eine Schülerin mit dunkel gefärbten Haaren Platz genommen, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt. Ich war keine Minute im Wagon, da fuhr der Zug schon los. Wie gesagt, viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte dem Zug nachschauen dürfen.“

Natalie hatte sich ein wenig beruhigt. Sie nahm mich mittlerweile wieder wahr, auch wenn mir nicht ganz klar war, was die Geschichte mit mir zu tun haben konnte. „Stell dir vor, Viv, ich sitze in dem Abteil, da zündete sich der ältere Herr mir gegenüber eine Zigarette an, blies mir den Rauch direkt ins Gesicht!!! Also stand ich auf und schob das Fenster herunter, damit frische Luft herein konnte. Da fuhr mich dieser Mensch an, das Fenster müsse zu und wollte es gleich wieder schließen. Das ließ aber ich nicht zu, ich bestand darauf, dass es offen bliebe. Worauf der Mann wütend meinte, er habe es im Kreuz, er könne Zugluft nicht vertragen!“ „Und du?“ fragte ich Natalie. „Hast du dann nachgegeben?“ „Wo denkst du hin?“ funkelte mich Natalie mit ihren grünen Katzenaugen an. „Natürlich nicht! Ich habe ihm gesagt, wenn ihm seine Gesundheit wirklich so wichtig sei, solle er besser mit dem  Rauchen aufhören.“ Mit Mühe unterdrückte ich einen Lachkrampf, weil ich erkannte, wie ernst Natalie die Angelegenheit noch immer nahm.

„Ja, wie hat er dann darauf reagiert? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein langjähriger Raucher so eine Antwort einfach hinnimmt!“ „Er hat gar nichts gesagt, aber seine Frau hat mich dafür angefahren wie eine Furie. Sie hat mich beschimpft, sie hat mich bedroht, sie wisse, wer ich sei, und ich werde mich noch anschauen… Natalie hatte ihren Blick weit nach vorn, an einen unbekannten Punkt, gerichtet, sie zitterte in der Erinnerung an die Szene vor Empörung und ihre Augen glühten vor halbunterdrücktem Ärger. „Natürlich blieb ich ihr nichts schuldig. Wir lieferten uns ein hartes Gefecht, aber ich gab nicht nach. Nach fünf Minuten setzten wir uns wieder, das Zugfenster war weit geöffnet, aber plötzlich hatten alle Insassen des Wagons, denen der heftige Streit nicht verborgen geblieben war, zu rauchen begonnen. Auch diese Schülerin neben mir paffte wie verrückt. Die Luft war erfüllt mit dickem Rauch, den man in Quader hätte schneiden können. Lauter ach so solidarische Raucher!!!!“

Dann drehte sich Natalie wieder zu mir und sah mich triumphierend an. „Aber das Zugfenster blieb so lange geöffnet bis ich ausstieg!“ Meine Hand, die schon vorsichtig nach der Zigarettenschachtel in der Hosentasche getastet hatte, weil ich mir wieder eine Zigarette anzünden hatte wollen, hielt inne. Dieser Moment war scheinbar nicht der rechte Augenblick, eine Entspannungszigarette zu rauchen, sagte mir mein Gefühl. Auch wenn mich Natalies Schilderung mehr amüsiert als empört hatte, verstand und verstehe ich auch heute noch ihren Unmut. Und er kam mir angesichts des Zeitungsartikels wieder in den Sinn. Raucher sind nicht toleranter, höchstens anderen Rauchern gegenüber. Es gibt genügend Nichtraucher, die Zigarettenrauch ungefragt ertragen müssen – wie es mir zum Beispiel schon in der Ordination eines Arztes (!) gegangen ist, als sich der Mediziner selber nämlich eine Zigarette neben mir anzündete. Aber welcher Raucher ist so tolerant, dass er sagt, er raucht aus Rücksichtnahme auf einen Nichtraucher oder ein kleines Kind nicht? In der Praxis so gut wie keiner, sage ich ihnen!

Man sollte sich hüten, solche verallgemeinernde Äußerungen in einem weit verbreiteten Medium zu veröffentlichen, die durch nichts belegt sind, außer durch die eigene, selbstherrliche Meinung mancher Raucher über sich selber. Ich will hier nicht über die gesundheitlichen Risiken jammern, jeder Raucher weiß selber ganz genau, dass ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit kein angenehmer Tod erwartet. Aber ich möchte hier auch im Speziellen darauf hinweisen, wie viele Kinder durch rauchende Eltern schon früh Schädigungen ihrer Atemwegsorgane hinnehmen müssen, weil es den „Erzeugern“ nicht im Traum einfiele, auf das eigen Fleisch und Blut Rücksicht zu nehmen – bei der eigenen Sucht hört sich nämlich jede Rücksichtnahme auf!

Raucher sind toleranter? Raucher sind geselliger? Raucher sind die besseren Menschen? Mitnichten! Toleranz und Geselligkeit sind mit Bestimmtheit nicht davon abhängig, wie viel Nikotin man regelmäßig inhaliert. Toleranz zum Beispiel ist eine Geisteshaltung, die man unter anderem auch damit erwirbt, dass man sich in andere Menschen und ihre Gefühle hineinversetzen kann oder es zumindest immer wieder versucht. Und das – verzeihen Sie, wenn ich das sage – tun sehr viele Raucher überhaupt nicht, weil ihre Sucht sie beherrscht und nicht umgekehrt, meint

Vivienne

 

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