Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005


Stiefmütterlich

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie sitzen in einem Gastlokal und beobachten eine Familie am Nebentisch. Eine fürsorgliche Mutter kümmert sich besonders um eines der Kinder, das flott gekleidet ist und ein wenig verzogen wirkt. Überdies hat dieses Kind einen Rieseneisbecher mit einer Portion Schlagobers vor sich und isst eifrig. Ihr Blick gleitet weiter und da merken Sie erst, dass die anderen Kinder dieser Frau längst nicht so gut angezogen sind wie das eine im Vordergrund. Sie sind auch mager, blass und haben nur eine Limonade vor sich stehen. Mit großen Augen und etwas Neid verfolgen sie, wie das Geschwisterl mit Zuwendungen überschüttet wird und sehen sich ganz offensichtlich Leid wegen des Rieseneises…

Schlimm, würden Sie jetzt sagen. Keine Mutter darf ein Kind so offensichtlich bevorzugen. Das schafft nur Unfrieden, Neid und böses Blut untereinander. Da gebe ich Ihnen auch Recht, und der Fall, den ich Ihnen geschildert habe, war auch nur bildlich gemeint. Denn so und nicht anders behandelt unsere Gewerkschaft ihre Mitglieder. Das Gros der Leute (Handelsangestellte, etc) muss sich in der Arbeitswelt solala herumschlagen: zum Teil mehr schlecht als Recht bezahlt, sehr flexible Arbeitszeiten und wenig Arbeitsqualität, im Rechtsstreit fast immer auf der Verliererseite. Daneben aber die Liebkinder (Beamte, Metaller, etc.), die sich über jede Menge Vergünstigungen im Dienstvertrag freuen dürfen, weit über dem Kollektivvertrag anderer. Und die dann trotzdem meutern wie verrückt, wenn man mal ein wenig Abstriche machen soll…

So beobachtet im Dienstrechtsstreit der BA-CA, der sich nun schon eine Weile zieht. Details können Sie, liebe Leser, gerne auf www.derstandard.at nachlesen. Die Grundessenz dreht sich darum, dass die Rechte neu eintretender Arbeitnehmer schrittweise beschnitten werden sollen – das betrifft unter anderem auch die Pragmatisierung, die fallen soll. Schlimm ist das für jemanden, der seine Lebensplanung schon abgeschlossen hat und plötzlich realisieren soll, dass der süßeste Apfel in den zu erwartenden Vergünstigungen gestrichen werden soll. Mir ist ohnedies nicht wirklich klar, welche Berechtigung die Pragmatisierung bei einem Bankangestellten hat. Jede Kassiererin im Supermarkt, die eine ähnliche Verantwortung trägt, darf nicht einmal im Traum an eine derartige Sonderstellung denken.

Grotesk mutet in dem Zusammenhang zusätzlich an, dass beim Weltspartag die zuständige Gewerkschaft die Bevölkerung zur Solidarität mit den Leuten der BA-CA aufrief. Wie wäre es wohl, wenn jene vielleicht aus Solidarität mit dem gemeinen Arbeitsvolk freiwillig auf einen Teil ihrer Pfründe verzichten würden? Oder anders formuliert: die Solidarität mit den ach so bedauernswerten BA-CA-Mitarbeitern wird sich in Grenzen gehalten haben, leben doch diese mit schon vor langer Zeit ausgehandelten Vergünstigungen zum Kollektivvertrag vergleichsweise wie die Made im Speck. Es mag die Gewerkschaft wenig kümmern, dass ihre einzelnen Mitglieder derart unterschiedlich von ihr profitieren. Wo nämlich die Gewerkschaft groß organisiert ist, dort schüttet sie ihr Füllhorn auch dementsprechend großzügig aus.

Wo Firmeninhaber und Chef schon im Vornherein die Gründung eines Betriebsrates im Keim ersticken, tut sich natürlich auch nichts, obwohl gerade diese Leute häufig (nicht immer) am allermeisten Unterstützung Not hätten. So beobachtet in einem früheren Unternehmen von mir, der CLC, wo ich im Outbound Call Center tätig war. Einsetzbarkeit rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, Mindestarbeitszeit von 42,5 Stunden pro Woche (obwohl nur 40 Stunden, und das sehr schlecht, bezahlt wurden) und zig arbeitsrechtliche Übergriffe (das alles fragwürdig vertraglich abgesichert), zu denen Arbeiterkammer und Gewerkschaft schwiegen. Kein mediengeiler Aufschrei in der Öffentlichkeit, wohl unter dem fadenscheinigen Vorwand, man wolle keine Arbeitsplätze gefährden. Hat sehr viel gebracht, denn das Unternehmen ist kürzlich in den Konkurs geschlittert.

Steifmütterlich ist gar kein Ausdruck, wie die Gewerkschaft mit ihren „normalsterblichen“ Mitgliedern umspringt. Dass die Regierung kein Interesse daran hat, an gewissen Übergriffen und Verfehlungen von Dienstgebern etwas zu ändern, liegt ohnedies auf der Hand. Die fordert nur, wie erst kürzlich, das Arbeitsamt sinngemäß auf, endlich seinem Job nachzukommen und Leute zu vermitteln…zur Minderung der Arbeitslosenzahlen. Die privilegierten Jobs hingegen (siehe BA-CA) werden ohnedies wie von selbst und fast ein wenig unter Ausschluss der „gewöhnlichen“ Öffentlichkeit vergeben. Unsereins hat da sicher kein Leiberl…

Vivienne

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