Alkohol – Die bunte Welt von Vivienne

Müde war ich aus der Arbeit heimgekommen. Als ich aus dem Lift im vierten Stock stieg, konnte ich weiter vorne im Gang Tanja die Wohnungstür ihres Freundes Richard aufsperren sehen. Ich dachte mir wenig dabei, auch wenn mir einfiel, dass ich Tanja die letzte Zeit nicht übermäßig oft gesehen hatte. Was aber andererseits nicht so verwunderlich war – Tanja hatte eine eigene Wohnung, auch wenn sie und Richard schon bald drei Jahre ein Paar waren… Ich war noch keine zehn Minuten in unserer Wohnung, als es plötzlich läutete. Tanja stand vor der Tür und fragte mich, ob sie kurz reinkommen könnte. Ich nickte und irgendwie wirkte sie ein wenig ungewohnt auf mich…

Tanja setzte sich auf meine Einladung hin und kramte in ihrer Tasche. „Darf ich dich um etwas bitten, Vivienne?“ Dann drückte sie mir ohne weitere Umstände einen Schlüsselbund in die Hand. „Könntest du den Richard geben? Ich wäre dir sehr dankbar…“ Zugegeben, ich war etwas verdattert und die unausgesprochene Frage war deutlich in mein Gesicht geschrieben. Tanja nickte, lächelte etwas müde. „Ich verstehe schon, du kennst dich nicht so wirklich aus.“ Sie holte tief Luft. „Ich habe Richard verlassen. Draußen steht nur mehr eine Tasche mit den wenigen Sachen, die ich noch hier hatte. Es ist vorbei…!“

Ich war wie vom Donner gerührt. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Die beiden waren so ein tolles Paar gewesen, und nie hätten Albert und ich einen Gedanken daran verschwendet, dass in dieser Beziehung etwas schief laufen könnte. Aber es war wohl trotzdem so gewesen… Tanja wollte sich nun doch ein wenig erklären. Sie holte ihre Tasche herein, die sie draußen neben der Tür stehen gelassen hatte. Schließlich hatte sie gar nicht vorgehabt, mir im Detail etwas zu erklären, warum und weshalb… Ich machte Kaffee, und dann begann Tanja zu erzählen…

„Ich war an sich sehr glücklich mit Richard, wir hatten eine tolle Zeit. Aber der Alkohol… Weißt du, drei Monate habe ich hier mit ihm gelebt. Dann ging ich in meine Wohnung zurück. Unter Alkoholeinfluss konnte er so gemein werden, dass ich mir eine Hintertür offen halten lassen wollte. Dabei war er ein liebender Vater, ein zärtlicher Liebhaber, ein liebevoller Mensch einfach, aber das war nur die eine Seite. Die andere…“ Sie schwieg kurz und blickte mich traurig an. „…die andere Seite war die eines harten, gemeinen Mannes, der es einem nicht leicht machte. Ganz gezielt nicht.“

„Was ist passiert?“ fragte ich. „Etwas muss doch der Auslöser gewesen sein?“ Tanja nickte. „Stimmt. Es ging um den Schießverein seiner Heimatgemeinde. Ich war einmal mit ihm bei einem Treffen unterwegs, es war ein Fiasko. Alkohol in Mengen und Richard behandelte mich wie den letzten Dreck. Damals hätte ich ihn fast schon verlassen….“ Sie schnäuzte sich. „Er entschuldigte sich damals, und ich schwor mir, bei so einem Anlass nie wieder mitzugehen. Aber Richard hatte einen Plan.“ Sie blickte zu Boden. „Vor drei Wochen war wieder ein derartiges Zusammenkommen geplant. Richard wollte schon anfangs des Jahres unter falschen Voraussetzungen dort buchen, aber ich hatte so eine Ahnung und fand die Wahrheit heraus.“

Ich begann zu begreifen. Ein Mann mit zwei Gesichtern, seine Alkoholsucht war schuld daran. Tanja fuhr fort. „Seiher stritten wir nur mehr. Ich war kaum mehr bei ihm in der Wohnung und wenn ich dort war, versetzte er mich gerne und kam stundenlang nicht nach Hause. Und wenn doch, dann nur sternhagelvoll. Er unternahm schließlich einen letzten Anlauf mich zu überreden, mit ihm auf das Treffen des Schießvereines zu fahren. Plötzlich behauptete er, er hätte anfangs doch zugesagt. Mittlerweile hatte er nämlich heimlich für uns beide gebucht…“

 Eine schwierige Situation. Wie konnte man da wieder Ruhe hineinbringen? Tanja hatte ihre Entscheidung aber längst getroffen. Und daran änderte auch ein großer Streit nichts. „Richard fuhr dann alleine hin. Und er war unglaublich sauer, als er wieder zurückkam. Er rief nicht mehr an; als ich mich meldete, weil ich mir Sorgen machte, drückte er mich raus. Mehrmals.“ „Was hast du dann getan?“ wollte ich wissen. „Ich rief bei seinen Eltern an, mit denen ich mich sehr gut verstehe. Und sie begriffen auch nicht, was mit ihrem Sohn los war. Seine Mutter versicherte mir, dass mich Richard tief und aufrichtig lieben würde. Aber sie könne mir nicht raten, bei ihm zu bleiben oder ihn zu verlassen. Sie wisse nicht, was für mich das Beste wäre. Ihr Sohn war ihr momentan selber so fremd…“

 Tanja stand auf, stellte die Kaffeetasse auf den Tisch. „Ich habe ihn seither nicht mehr gesprochen oder gesehen. Und darum habe ich mich entschlossen zu gehen. Es hat keinen Sinn mehr.“ Etwas unendlich Trauriges lag in ihrer Stimme und ich umarmte sie spontan. „Mach’s gut. Du wirst uns fehlen.“ Tanja griff nach ihrer Tasche und öffnete die Wohnungstür. Ich starrte den Schlüsselbund an. Eines wusste ich, ich würde wohl Ali bitten, ihn Richard zu bringen. Etwas sträubte sich in mir, das selber zu tun…

Vivienne

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