Ein Morgen mit und in der Zeit – von Gabriele Weinschenk-Taapken

Morgens gehe ich ums Haus. Die Hunde schlagen an, den beißend kläffend Ton. Ich werfe ihnen Knochen hin. Ich weiß nicht, ob denn Sonntag oder Montag ist.
Morgengrau scheint noch grauer heute. Bäcker haben alle geschlossen. Ein Schild sagt mir, süßes Brot werde nicht mehr an mich verkauft. Ja und? Dann eben nicht!

Am Kiosk kaufe ich DIE ZEIT und taz. Auf der Titelseite prangert man Lobbyisten in Weiß an.
Ausweisen will man religiöse Extremisten. Man meint aber Sunniten und Salafisten, nicht die Katholiken.
Mein nüchtern Magen rebelliert laut knurrend. Ich werfe die Zeitung in die nächste Tonne, gehe zum Supermarkt und kauf mir eine Buttermilch und schwarze Zigaretten.
An der Kasse sitzt ein blasser Knilch, nicht mal der sieht mich. Ich sage extra breit lächelnd Guten Morgen und frage: „Geht es ihnen heute gut?“
Keine Regung, als sei ein Wort, ein Lächeln Pfand.
Schade, dass im Supermarkt keine Türen zum Knallen sind. Renn ich doch regelmäßig gegen das sich zu spät öffnende Glas. Ich garantiere – die Türen würden hinter mir, ganz langsam, genüsslich, aus den Angeln fallen.
Auf dem Rückweg treffe ich den Blumenhändler, der ist immer so charmant. Er rettet mir den Morgen!
Wir reden ein paar Minuten und wollen uns mittags zum Essen und Kaffee treffen.

Ich sehe in meinen Briefkasten – Rechnungen, Werbung, wie immer.
Liebesbriefe gibt es schon lang nicht mehr. Der Postbote weigert sich, mir welche zu schreiben. Dann eben nicht!
Ich setze mich zuhause an den Tisch, lese und verliere sämtliche Zeit – in Seiten und in Stunden, trinke dazu Buttermilch. Das Rauchen lasse ich heute lieber bleiben.
Es klingelt das Telefon, eine Freundin fragt, ob sie kommen könne, ihr Drucker gehe nicht.
Ja, sage ich, aber noch nicht so gleich, ich müsste die Zeitung unbedingt zu ende lesen. Sie lacht und sagt, du bist verrückt. Ja und? Was macht das schon!

Die gleichen Themen in der ZEIT:
Politiker seien auf Bewährung. Herr von Klaeden will zu Daimler, werde von der Kanzlerin geschützt. Da lache ich noch vorsichtig. Und wieder Drohnen, Krieg und Katastrophen.
Und Schweden sei nicht Bullerbü. Als hätte ich es nicht gewusst. Auch dort Migranten ausgegrenzt, im sauberen Ikeakaufhausland. Was für ein Morgen!

Mein Magen immer flauer, von der Buttermilch ganz sauer?
Ich wechsele auf den Teil der Kultur: Dem Archaeopteryx wird der Stammbaum umgeschrieben.
Ich glaube es nicht! Was stimmt denn heute noch?
Ist heute Montag oder nicht? Ist auch ganz gleich!
Ich klappe die Zeitung zu, es klingelt an der Tür. Es ist nicht die Freundin, nein! Es ist der blasse Knilch vom Supermarkt, der mir meine Geldbörse bringt, ich hätte sie dort an der Kasse liegen lassen. Ich fasse es nicht! Und plötzlich kann der sogar reden und lächeln.
Ich bin mit einem Mal ganz glücklich.
Ich gebe ihm zehn Euro und lade ihn zum Espresso ein, die ich schnell für uns gemacht.

Man wird es nicht glauben, nach diesen ganzen Katastrophen,
mit und in der Zeit – habe ich doch so viel Glück!
Mein Blick fällt noch mal auf Die ZEIT:
Filmfestspiele in Cannes –
> Ein Gefühl für die Gegenwart… <
Ja, das stimmt! Das kann ich unterschreiben!

© Gabriele Weinschenk-Taapken 2013

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