Kaffeewasser auf Teelichtern – In die Stille gerettet

Textauszüge: Harry Popow – „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Kaffeewasser auf Teelichtern (Seite 281)

Der letzte Januartag 2002. Vormittags. Zwei arme Orlow-Seelen kauern vor dem wärmenden, flackernden Kamin, den auf zwölf Teelichtern „gekochten“ Kaffee trinkend, er unrasiert, sie mit leichten Kopfschmerzen, beide aber optimistisch, den neuen Zustrom von Licht und Wärme irgendwann erwartend. Seit 36 Stunden kein Strom. Im starken Orkan knickten sogar stählerne Hochspannungsleitungen um. Der schwere Sturm war am 28. abends im schwedischen Fernsehen angekündigt worden. Etwa um 01 Uhr des 29.1. waren wir noch wach. Es blies und heulte draußen, war das alles? Aber wenig später ging‘s los. Man hörte die Furie über dem Wald jaulen, und im nächsten Augenblick prallte sie mit Wucht gegen unser Holzhaus. Die Blechabdeckungen klapperten wie wild, die Orkantatze drückte gegen die Außenwand, als wollte sie das alte Häuslein zur Seite schieben. Die Balken ächzten und stöhnten, es riß, rüttelte, schüttelte, zerrte im alten Gebälk, sodaß wir um das Dach bangten. Cleo flüchtete mit dem Bettzeug ins untere Wohnzimmer, ich erwartete heldenmütig die Dachbalken gegen meinen Kopf prallen. An Schlaf war nicht zu denken, da wollte Cleo uns eine heiße Brühe kochen, schön mit Ei und so. Ich knipste die Nachttischlampe an und schaute auf die Uhr. Es war 03.30 Uhr. Plötzlich – tiefe Dunkelheit. Im Zimmer und in ganz Gadderos, als wir aus dem Fenster sahen. Stromausfall. Kein Licht, keine Heizung. Also hole ich Holz aus der Garage, füttere etwas später den Ofen, aber der erste Versuch scheitert, denn eine Sturmböe schlüpft in den Schornstein und drückt mir das aufflackernde Feuer und den Qualm voll ins Gesicht. Gegen Morgen. Wie bekommen wir wenigstens eine Tasse Kaffee? Cleo erinnert sich an den Fluchtort Bayern 1945. Da hatte ihre Mutti mit Talglichtern Wasser erwärmt. Sie will es versuchen, ich zweifle. Aber etwas heißes Wasser befindet sich noch in der Therme, und so gelingt es, Wasser mit kleinen Teelichtern zum Kochen zu bringen. Welch ein Glück, wir strahlen und schlürfen. Frühstück gerettet. Gegen Mittag übriggebliebene Spaghetti auf die gleiche Art erwärmt. Abends, als die dunklen Wolkenbänke schon wieder weitergezogen waren, spazierten wir durch das im kalten Mondlicht liegende aber leblos wirkende Gadderos. Heute gegen 14 Uhr – Strom noch nicht – da klopft es an die Tür. Horst mit Freundin aus Flygsfors. Sie wollten nur mal vorbeischauen. 14.30 Uhr: Licht und Jubel. Die Kühltruhe kühlt wieder das Fleisch (36 Stunden, ob das alles noch okay ist?), Cleo macht warmes Mittagessen, ich kann mich wieder rasieren. Wie sehr viel mehr achtet man Selbstverständlichkeiten, wenn sie einmal fehlen.

Spät abends im Bett. Ich lese Cleo Lewitan-Briefe vor. Da kommt der Satz vor: „Einen Riesenerfolg hat Sarah Bernhardt in Jeanne d‘Arc.“ (???) Wer? Cleo schüttelt den Kopf und erklärt mir, wer diese Frau war. Warum habe ich mich früher nicht mehr interessiert, war das zu wenig Neugier? Keiner ist so blind wie der, der nicht sehen will!

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