Vanessa lehnte sich auf der Couch zurück. Das Telefon hatte sie auf Lautsprecher gestellt und neben sich gelegt. Inzwischen bereute sie, dass sie ihre Schwester angerufen hatte. Sie hatte gedacht, dass man sich vor einer solchen Entscheidung auch noch mit einer vertrauten Person unterhalten sollte, aber sie hatte die falsche Wahl getroffen. Doch wen hätte sie anrufen sollen? Eine Kollegin oder Bekannte von hier schied in dieser Situation aus. Ihre Mutter war nicht belastbar. Blieb nur die Schwester.
„Und warum willst du das machen?“ „Was hab ich denn sonst für eine Perspektive? Wenn ich das Kind kriegen würde, wie geht es denn dann weiter? Wo bring ich das Kind denn unter, wenn der Mutterschutz vorbei ist? Ihr wohnt zu weit weg und hier hab ich niemanden.“ Vanessa rieb sich die Stirn, die Kopfschmerzen wurden seit Tagen immer schlimmer.
„Und wenn ich weiter da arbeiten will, muss ich die Klappe darüber halten, wer der Vater ist. Was meinst du, zu wem die Herren bei uns halten werden? Zu der kleinen Sekretärin oder dem verdienten Mitarbeiter? Du bist da echt naiv, du hast keine Ahnung, wie das in so nem Betrieb abgeht. Da bist du weg vom Fenster.“
„Fängst du jetzt wieder so an? Die große Karrierefrau. Und ich dummes Stück hab keine Ahnung, oder was?“
„Tschuldige. War nicht so gemeint. Es ist nur wirklich schwierig. Ich weiß ja auch nicht.“
„Wie wäre es denn, wenn du wieder zurück hierher ziehst? Hier findest du vielleicht auch Arbeit. Und ich könnte das Kleine tagsüber doch nehmen.“
Vanessa rollte mit den Augen. Das hätte gerade noch gefehlt. Aber sie meinte es ja nur gut, egal wie dämlich der Vorschlag war. Deshalb antwortete sie freundlich: „Ich fühl mich wohl hier. Ich will nicht zurück. Und im Übrigen ist das auch nicht der Punkt. Ich will vor allem keine allein erziehende Mutter sein, die beruflich kein Bein auf den Boden bekommt und dem Kind nichts bieten kann.“
Auf der anderen Seite des Telefons gab es eine kurze Pause. Dann antwortete ihre Schwester mit kühler Stimme: „Na danke. Du, ich hab mir das auch nicht ausgesucht.“
Vanessa war jetzt an der Grenze ihrer Kräfte. Nur mühsam nahm sie sich zusammen und sagte ruhig: „So war das nicht gemeint. Und gib doch mal zu: Einfach ist es nicht. Ich kann es mir jetzt noch aussuchen. Ich hab noch eine Wahl.“
Ihre Schwester klang jetzt ärgerlich: „Da hättse auch vorher mal dran denken können. Musst nicht meinen, dass man so eine Abtreibung einfach so wegsteckt. Da kenn ich genug Leute, die hinterher damit Probleme haben.“
Vanessa versuchte, weiter gelassen zu bleiben: „Ich hab mir das erklären lassen. Körperliche Schäden sind nicht zu erwarten.“
„Na, wenn das mal alles wäre. Das musst du auch ansonsten erstmal wegstecken.“
„Jetzt mach mich nicht auch noch verrückt. Ich überleg mir das ja gründlich. Aber ich seh keine Alternative. Du warst wenigstens mit Ben zusammen, als du schwanger warst. Das ist was komplett anderes. Ich bin allein mit der Scheiße. Dann ist mein Leben rum.“
Schweigen in der Leitung, dann ein Seufzen: „Du musst selbst wissen, was du machst. Überleg dir das gut. Ich würd dich unterstützen. Echt. Und meld dich nochmal.“
„Ja, ich denk drüber nach. Tschüss.“ Vanessa legte auf und schloss die Augen. Sie weinte nicht, nur ein kleines gequältes Wimmern kam aus ihr heraus. Dann schlug sie ein paar Mal auf das Sofakissen ein, aber nicht einmal dazu hatte sie richtig Kraft. Sie stand auf, ging in die Küche und begann Geschirr zu spülen.