Die Stricknadeln der Mutter klapperten. Man merkte, dass sie darin Übung hatte, der Rhythmus blieb immer gleich.
„Warum packst du nicht mal das Puzzle aus, das ich dir mitgebracht habe?“, fragte die Mutter Constanze, die ihr gegenüber auf dem Sofa saß. „Du hast immer so gern Puzzles gemacht. Sogar als kleines Mädchen hast du schon welche mit 500 Teilen gelegt. Das war mir zu eintönig, aber du hattest dabei immer Ausdauer.“
Constanze nahm das Puzzle in die Hand. 1000 Teile. Wald. Alles grün und braun. Ein bisschen rot. Oben ein ganz klein wenig blauer Himmel. Sie suchte einen Anfangspunkt, um die Folie zu lösen, in die die Schachtel verschweißt war. Ihr Finger knibbelte an der Seite herum, der Fingernagel kratzte wieder und wieder an der Ecke, doch sie fand keinen Anfang. Die Mutter stand auf, kam herüber und machte mit ihrer zierlichen Handarbeitsschere einen winzigen Schnitt. „Siehst du, so geht es, jetzt hast du einen Anfang.“
Constanze schob die Spitze ihres Zeigefinger in die Folie und begann sie abzuziehen. Dann saß sie wieder da, die Folienreste in der Hand. Die Mutter nahm sie ihr aus der Hand. „Komm, die nehm ich mit. Ich muss noch die Banderole der Wolle wegwerfen.“
Und sie verschwand kurz in der Küche, wo die beiden Mülleimerdeckel der Eimer für Papier und Reststoffverwertung klapperten.
Als sie zurückkam, setzte sie sich, nahm einen Schluck Wasser und begann wieder zu stricken. Constanze starrte auf das zartgrüne Etwas, das unter den Fingern ihrer Mutter entstand. Eintönig klapperten die Stricknadeln, immer dieselbe Bewegung, Nadel durch die Schlaufe, Faden aufnehmen, durchziehen, durch die Schlaufe, aufnehmen, durchziehen.
Die Mutter bemerkte den Blick ihrer Tochter. „Ich hab ja überlegt, ob ich das weiterstricken soll, aber dann dachte ich: Maria, das war jetzt schlimm, aber es geht weiter. Irgendwann kündigt sich wieder was Kleines bei den beiden an und dann bekommt es das von mir. Das kann ja jetzt einfach mal im Schrank liegen, das wird nicht schlecht. Und Grün kannst du einem Jungen UND einem Mädchen anziehen, es ist also egal, was es wird.“ Sie hielt ihre Strickarbeit etwas weg von sich und betrachtete sie zufrieden.
Constanze starrte nun nicht mehr auf die Wolle, sondern auf eine Stubenfliege, die um den Kopf ihrer Mutter kreiste. Die Mutter verscheuchte sie. Die Fliege zog sich zurück in Richtung des Sofatischs, auf dem die Macarons standen, die die Mutter als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Sie landete auf einem Pistazienmacaron und begann darauf herumzuspazieren. Sie schien ihr Leben recht angenehm zu empfinden, wie sie da so gemächlich und selbstzufrieden auf der Süßigkeit herumlief.
Die Mutter schien auf eine Antwort zu warten, eine Zustimmung zu ihrer Aussage über ihr Gestricktes. Als keine Antwort kam, unterbrach sie ihre Handarbeit und wandte sich an Constanze.
„Schatz, weißt du, so was passiert auch den Besten mal. Es hat halt keiner damit gerechnet, dass sowas auch bei euch passiert. Gute Gene, du lebst gesund, passt auf dich auf. Wer weiß, vielleicht war es gut so. Manchmal stimmt mit den Kindern, die abgehen, nämlich etwas nicht. Jetzt stell dir mal vor, du hättest ein behindertes Kind, das will ja keiner. Wie hättet ihr das machen wollen, das Haus ist ja gar nicht behindertengerecht. Und dann kannst du dein eigenes Leben erst mal vergessen. Das hätte ja auch keiner gewollt.“
In Constanze regte sich kurz etwas, das sagen wollte, dass ihr das jetzt gar nicht weiterhilft und dass die Mutter Quatsch erzählt. Aber dann beobachtete sie einfach weiter die Fliege, die ruhig über der Stelle des Macarons kauerte, die beim Herausnehmen aus der Packung gebrochen war, so dass die Füllung zu sehen war. Die Fliege ging mit ihren Vorderbeinchen und ihrem Rüssel immer wieder in aller Ruhe zu der Füllung, als ob sie wüsste, dass niemand auf das Gebäck schlagen würde, um sie zu vernichten.
Die Mutter folgte nun Constanzes Blick, stand auf und verscheuchte die Fliege. Dann setzte sie sich neben Constanze auf das Sofa. Sie nahm ihr das Puzzle aus der Hand und verteilte die Puzzleteile auf dem Tisch.
„Schau, jetzt machen wir das mal zusammen“, sagte sie.
Sie legte den Deckel mit dem Bild nach oben neben die Puzzleteile: „Da können wir uns abkucken, wie das Bild aussehen muss.“
Und als Constanze sich nicht rührte, sagte sie: „Ich such dir schon mal die Eckstücke. Schau du nach den Randstücken.“